Ausnahme der Krankenversicherung, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit galt.146 Wie
intensiv sich die Militärregierung mit der Selbstverwaltungsfrage auseinandergesetzt
hatte, und wie ernsthaft sie den Demokratisierungsgedanken verfolgte, zeigt sich darin,
daß sie die klare Unterordnung des Geschäftsführers der LVA in den verschiedenen
Sozialversicherungszweigen unter die Selbstverwaltungsorgane durchsetzte.147 Als
einzige Besatzungsmacht haben die Franzosen nicht nur die Selbstverwaltung zu¬
gelassen, sondern sie haben die Selbstverwaltung aktiv zum Teil gegen die Lethargie
der deutschen Sozialpartner durchgesetzt.148
Ganz im Gegensatz zur französischen Besatzungszone scheint die Militarregerierung
im Saarland einen eher restriktiven Kurs in der Selbstverwaltungsfrage verfolgt zu
haben.Vor dem Hintergrund der Wirtschaftsunion mit Frankreich und der Frage der
Anpassung an die französischen Verhältnisse ist die Position Grandvals um so er¬
staunlicher, denn die Selbstverwaltung war in der französischen Sécurité Sociale
fortschrittlich geregelt worden. Die genauere Anlayse veranschaulicht jedoch, daß
möglicherweise gerade die innerfranzösische Entwicklung die restriktive Haltung des
Hohen Kommissars bestimmt haben könnte. In Frankreich war ursprünglich im Sinne
einer Entpolitisierung die Selbstverwaltung so geregelt worden, daß keine direkten
Sozialwahlen stattfanden, sondern die Selbstverwaltungsorgane von Gewerkschaften
und Arbeitgeberorganisationen gewählt wurden. Vor dem Hintergrund der Kritik
christdemokratischer Politiker (M.R.P.) und Gewerkschaftler (C.F.T.C.) an der Zen¬
tralisierung der Sozialversicherung erfolgte dann ab Frühsommer 1946 die Einführung
der Direktwahl zu den Leitungsgremien der Kasse für Familienzulagen und der Sécuri¬
té Sociale.149 Die Parolen der französischen Gewerkschaften anläßlich der Sozial¬
versicherungswahlen 1950 veranschaulichen das Ausmaß der Politisierung:"In den
Sécurité Sociale-Kassen liegen 140 Milliarden! Diebstahl am Arbeiterstand!" - lautete
eine Wahlparole der C.G.T.150 Innerhalb der Selbstverwaltungsorgane in Frankreich
gab es eine starke Arbeitnehmerrepräsentanz, denn in den gewählten Verwaltungsräten
besetzten die Arbeitnehmer zwei Drittel der Sitze. Sie besaßen aber nicht das Recht, die
Beiträge und Leistungen festzusetzen, diese Aufgabe lag beim Arbeitsminister.151 Zum
Zeitpunkt, als Kirn in der Selbstverwaltungsfrage vorpreschte, hatte bei den ersten
direkten Sozialwahlen am 24. April 1947 bereits die kommunistisch dominierte C.G.T,
einen Siegeszug angetreten. Sie hatte die Wahlen zu einer massiven Agitation in den
Ebd., insbesondere in der Frage der Unfallversicherung in Rheinland-Pfalz kam es zu Kontroversen
zwischen CDU und SPD, hier ist die Rolle von Franz-Josef Wuermeling hervorzuheben, Siehe: Ebd., S.290,
293-295.
147 Ebd., S.292.
Ebd., S.280, 290, 296-299. So mußte die Militärregierung die Durchführung von Sozialwahlen in
Württemberg-Hohenzollern wie auch in den übrigen Ländern anmahnen.
149
Ebd., S.137.
70 Jahre Sécurité Sociale in Eisass und Lothringen, hrsg. von der C.F.T.C., Strasbourg 1955, S.39.
Paul Durand, Probleme des Mitbestimmungsrechts in Frankreich, in: Recht der Arbeit 4/1951, S.245.
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