saarländischen Industriebesitzes, insbesondere die Eisen- und Stahlindustrie, in den
Händen der Familien Röchling und Stumm lagen. Das Stumm'sche System war ein
Paradebeispiel für die Ausübung einer personalisierten und patriarchalischen Unterneh¬
merherrschaft, das der Politiker- und Gewerkschaftlergeneration der Hoffmann-Zeit
noch bewußt gewesen sein dürfte.
Während im Ruhrgebiet im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie spätestens durch die
Bildung der Vereinigten Stahlwerke nach dem Ersten Weltkrieg ein großes Unter¬
nehmenskonsortium mit in der Tat polykratischen Strukturen entstanden war, basierte
das Röchling'sche Unternehmen auf dem Vermögen der Familie und war bis zum
Kriegsende 1945 durch Hermann Röchling geführt worden. Das Stumm'sche System
in Neunkirchen hatte sich nach 1918 relativ schnell aufgelöst, was auch dazu führte,
daß dort im Gegensatz zu Völklingen Gewerkschaften und Sozialisten stärker Fuß
fassen konnten.73 Patriarchalische Strukturen wirkten an der Saar wohl auch länger als
im Ruhrgebiet, weil die Saargruben als Mines Domaniales (1920-1935) nach französi¬
schem Vorbild ausgerichtet wurden und in allen Saarhütten - bis auf Röchling - eine
französische Kapitalmehrheit bestand.74 Daneben ist auf das von der Familie geführte
Keramikunternehmen Villeroy & Boch zu verweisen. Im Bereich der Glasindustrie
aber zeigt sich wie im metallverarbeitenden Bereich ein Trend zu polykratischen
Strukturen. Gerade diese starke Ausprägung patriarchalischer Unternehmensstrukturen
an der Saar dürften aber Richard Kirn und die saarländische Sozialdemokratie nach
1945 dazu veranlaßt haben, durch eine fortschrittliche Mitbestimmungsgesetzgebung
eine gesellschaftliche Modernisierung zu verwirklichen, zumal das Saarland der
Völkerbundszeit nicht in den Genuß des Weimarer Betriebsrätegesetzes gekommen
war. Auch die christlichen Gewerkschaften betonten insbesondere ab 1952, daß es mit
dem seit Stumms-Zeiten im Saarland typischen "Herr-im-Hause-Standpunkt" zu Ende
sein müsse.75
73 Günter Brackeimann, Carl-Ferdinand von Stumm (1836-1901). Christlicher Unternehmer,
Sozialpolitiker, Antisozialist, Bochum 1993. Joachim Heinz, Arbeiter und Arbeiterbewegung an der Saar
1933-1935, Magisterarbeit Universität Saarbrücken 1988, S.143 f. Hans-Chnstian Herrmann, Plante
Hermann Röchling 1940 ein zusammenhängendes Montanrevier Saar-Lor-Lux?, in: Zeitschrift für die
Geschichte der Saargegend, XLII/1994, S.218. Siehe auch: Hermann K o 11 h o f f und Peter O c h s,
Mitbestimmung an der Saar, Köln 1988, S.30, 35, 43. Zu den Verhältnissen vor dem Ersten Weltkrieg,
siehe auch: Hans Horch, Strukturelle Gewalt und autoritäres Verhalten im Lernprozeß der
kapitalistischen Industrialisierung. Untersuchungen zur sozialen Entwicklung im Industrierevier an der Saar
1790-1914, Hannover 1984, S.424, 447-449. Klaus-Michael M a 1 1 m a n n. Die Anfänge der
Bergarbeiterbewegung an der Saar (1848-1904), Saarbrücken 1981, S.189. Gerhard Paul, "Deutsche
Mutter-heim zu Dir!" Warum es mißlang, Hitler an der Saar zu schlagen. Der Saarkampf 1933-1935, Köln
1984, S.48.
74 Klaus-Michael M a 11 m a n n und Horst Steffens, Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an
der Saar, München 1989, S.131, 161, 170.
75 Winfried Becker, Johannes Hoffmann und die frühe Programmatik der CVP, in: Revue d'Allemagne
XVIII/1986, S.41.
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