in ihrer Einschätzung durch die gezielte Vernetzungsstrategie Conrads, der alle opposi¬
tionellen Richtungen bündeln wollte und auch die Unterstützung von außen suchte.
Gefördert wurde diese Entwicklung durch das ausgesprochen freundschaftliche Ver¬
hältnis zwischen Jakob Kaiser und Kurt Conrad.392
Die Basis für das Wirken der Bonner Kräfte bildeten die Oppositionssignale, die in den
Gewerkschaften seit der Wirtschaftsunion immer unüberhörbarer wurden. Hier ist die
Gruppe um Aloys Schmitt zu nennen wie auch Paul Kutsch und die Kommunisten,
letztere agierten vor allem auf Betriebs- und Betriebsratsebene. Die Alltagsprobleme
der Wirtschaftsunion und saarpolitische Fragen stellten sie in den Mittelpunkt ihrer
Agitation, Klassenkampfparolen versteckten sie aber weitgehend in der Mottenkiste.
Sogar ihre kommunistische Identität wollte die KP-Saar mit dem Namen "Sozialisti¬
sche Volkspartei Saar" kaschieren und so konsensfähiger werden.393
Zwei Aspekte haben das Hineinwachsen der Gewerkschaften in eine Oppositionsrolle
ganz wesentlich begünsügt und beschleunigt. Die Gewerkschaften zogen Oppositionel¬
le vor dem Hintergrund der Illegalisierung der Oppositionsparteien an. Dies bedeutete
eine zunehmende pro-deutsche Orientierung und Politisierung der Gewerkschaften und
insbesondere des Industrieverbandes Bergbau. Die Oppositionsrolle des Industrie¬
verbandes förderten ungewollt die autonomistischen Gewerkschaftskräfte sowie die
Regierung Hoffmann mit Innenminister Hector durch den Gewerkschaftsausschluß
von Paul Kutsch, Aloys Schmitt und ihrer Getreuen am 20. November 1952 und das
Verbot des I.V. Bergbau im Februar 1953. Beide Ereignisse wirkten als Katalysatoren
zur Vernetzung oppositioneller Strömungen. Die Gewerkschaften bzw. der mitglieder¬
stärkste Industrieverband der Einheitsgewerkschaft wurde dadurch sozusagen offiziell
in seiner Oppositionsrolle bestätigt und damit zum Magnet für alle Opponierenden. Es
ist daher nicht verwunderlich, daß unmittelbar nach dem Ausschluß von Kutsch und
seinen Anhängern Kurt Conrad den Kontakt zu ihnen intensivierte und der DGB
veranlaßt wurde, seine Zuschauerrolle aufzugeben. Die Aktionen gegen den I.V.
Bergbau im November 1952 und Februar 1953 waren Ausdruck der Ohnmacht der
autonomistischen Kräfte, den Dammbruch aufzuhalten, der mit der Wahl Kutschs im
März und Juni 1952 zum Vorsitzenden der Einheitsgewerkschaft und des I.V. Bergbau
eingesetzt hatte. Seit Mai 1952 und vor allem auch im Vorfeld der Landtagswahl Ende
1952 präsentierte sich Kutsch als charismatische Führungsfigur der oppositionellen
Gewerkschaftsrichtung auch in der Bundesrepublik. Von einer politischen Neutralität
des I.V. Bergbau konnte nun wirklich nicht mehr gesprochen werden angesichts des
Aufrufs im Organ "Saar-Bergbau", bei den Landtagswahlen ungültig zu wählen. Die
Mairede von Kutsch wurde in der Auslandspresse bereits als "revolutionär" bewertet
392 Interview mit Norbert Engel am 26.8.1994.
393 LA SB, Staatskanzlei (Stk), Nr.1702, Bl.347.
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