Full text: Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft

4.2 Französische Reformplanungen 
Bereits Anfang Juli 1946 hatte die Militärregierung bei der Abteilung Arbeit im Regie¬ 
rungspräsidium einen Verordnungsentwurf zur Auflösung der Betriebs-, Innungs- und 
Ersatzkrankenkassen angemahnt. Es stellt sich die Frage, warum die auch von der 
Abteilung Arbeit im Regierungspräsidium gewünschte Zentralisierung noch nicht in 
die Wege geleitet worden war, wenn doch auch die Besatzungsmacht eine Reform in 
diesem Sinne wünschte. 
Zunächst einmal scheint die innerfranzösische Entwicklung die Planung der saarlän¬ 
dischen wieder französischen Entscheidungsträger beeinflußt zu haben.75 Die Planung 
zur Sozialversicherungsreform in Frankreich bestimmte auch die Entwicklung im 
Saarland. Im Sommer 1946 zeichnete sich in Frankreich ab, daß entgegen der ur¬ 
sprünglichen Konzeption zur Sécurité Sociale trotz einer Vereinheitlichung der Sozial¬ 
versicherung spezielle Sondersysteme für bestimmte Berufsgruppen erhalten blieben.76 
Vorausgegangen waren im Frühsommer 1946 scharfe Proteste von zahlreichen Berufs¬ 
gruppen, insbesondere von Angestellten, die ihre Privilegien mit Unterstützung des 
christdemokratischen M.R.P. behalten wollten.77 
Kimmritz verfolgte den bereits Ende 1945 eingeschlagenen Kurs, Betriebskrankenkas¬ 
sen nicht wieder zuzulassen und bestehende aufzulösen, weiter. So ordnete er auch im 
Mai 1946 die "Stillegung" der Betriebskrankenkasse von Ehrhardt & Sehmer und die 
"Überführung der Versicherten zur Allgemeinen Ortskrankenkasse"an.78 Die Vorgänge 
zeigen aber, daß die saarländische Seite erst nach erfolgter Weisung der Militärregie¬ 
rung handelte, denn der Druck, die Auflösung der Betriebskrankenkassen auch prak¬ 
tisch umzusetzen, kam von der französischen Militärregierung in Baden-Baden. Sie 
bestand auf der Ausführung der Verordnung Nr. 39 vom 20. April 1946 auch im 
Saarland, welche die Auflösung der Betriebs-, Ersatz-, und Innungskrankenkassen 
vorsah. Grandval als Militärgouvemeur für das Saarland betonte gegenüber dem 
Regierungspräsidium:"Ich beehre mich, Ihnen an bei einen Brief betreffend VO. Nr. 39 
(...) über die Vereinigung und Auflösung von Versicherungskassen zu unterbreiten. Ich 
bitte Sie, diese Unterlagen genauestens durchzuarbeiten und dieselben als Grundlage 
für die Regelung des Versicherungswesens zu betrachten".79 
LA SB, MifAS, Bü.26, Kimmritz an Kirn und die Mitglieder des Versicherungsbeirates, Tgb.- 
Nr. 1438/46, vom9.7.46:"Es muß vermieden werden, daß wir schließlich nach dem Anschluß an Frankreich 
noch einmal einen Umbau vornehmen müssen. Herr Rieth erklärte mir, in Frankreich sei die Gestaltung der 
Sozialversicherung noch nicht abgeschlossen und er halte meinen Standpunkt für richtig, vorläufig 
abzuwarten, zumal die Angelegenheit durchaus nicht dringlich sei". 
76 Yves S ai nt - Jours, Landesbericht Frankreich, in: Peter A. Köhler und Hans F. Zacher (Hrsg.), Ein 
Jahrundert Sozialversicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich 
und der Schweiz, Berlin 1981, S. 242. 
77 
Hudemann, Sozialpolitik, S.137. 
78 LA SB, MifAS, Bü.26, Kimmritz (RP 1072/46 Ki) an das Landesversicherungsamt vom 15.5.46. 
79 Ebd., RP, Nr.13, B1.292, Grandval an RP/Abt. Arb. vom 30.8.46. 
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