Vermassung.70 Gegensätzliche Positionen vertraten Repräsentanten der Ortskranken¬
kassen und der bereits zu diesem Zeitpunkt erkennbar gewerkschaftlich und sozialde¬
mokratisch dominierten Abteilung Arbeit des Regierungspräsidiums. Sehr engagiert
äußerte sich Wilhelm Kimmritz, der Referent des Hauptreferates II (Sozialversiche¬
rung) der Abteilung Arbeit im Regierungspräsidium, in einem Exposé über Sozial¬
versicherungsfragen im Juni 1946. In ihm finden sich die klassischen Argumente der
Anhänger der Einheitsversicherung: Zentralisierung als Weg zur Beitrags- und Lei¬
stungsvereinheitlichung und gerechten Risikoverteilung. Kimmritz gab ein Plädoyer
für die Auflösung der Betriebskrankenkassen:"Die Betriebskrankenkassen bedeuten
Zersplitterung der Kräfte". Es sei ungerecht, daß die Ortskrankenkassen mit schlechten
Risiken der gewerblichen Arbeitnehmer belastet werden würden, während die Er¬
satzkassen vorwiegend festvergütete Gehaltsempfänger hätten, an die nur in ganz
seltenen Fällen Krankengeld gezahlt werden müsse. Um die Vereinheitlichung als
Gebot der Stunde anzupreisen, wies er darauf hin: "(...) Zentralisation bedeutet auch
vorsorgliches Wirtschaften und Planen für die Zeiten der Krise in der Volksgesund-
heif'.71
Abweichende Beitragssätze und divergierende Versicherungsleistungen der einzelnen
Versicherungsträger erklären sich daraus, daß jede Krankenkasse kraft ihres Selbstver¬
waltungsrechtes sowohl die Beiträge als auch die über die Reichsversicherungsordnung
(RVO) hinausgehenden Mehrleistungen selbst festsetzen konnte. Niedrige Beitrags¬
sätze und weitreichende Mehrleistungen setzen ein hohes Einkommensniveau der
Versicherten und ein günstiges Versicherungsrisiko voraus. Wenn man die Pro-Kopf-
Ausgaben der verschiedenen Krankenversicherungsträger für das Jahr 1946 vergleicht,
fallen deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ortskrankenkassen auf, aber
auch die wesentlich geringeren Pro-Kopf-Ausgaben der Barmer Ersatzkasse. Ins¬
besondere der Anteil der Krankengeldzahlungen an den Gesamtausgaben war bei den
örtlichen Krankenkassen wesentlich höher, obwohl die Krankengeldleistungen der
Barmer Ersatzkasse bis zu 75 Prozent über dem gesetzlichen Mindeststandard lagen.72
Ebd., Bü.26, Denkschrift des Verbandes der saarländischen Betriebskrankenkassen. "Betriebskranken-
kassen. Ihr sozialer Wert für den Arbeitnehmer und ihre Bedeutung für den Wiederaufbau der
Saarwirtschaft" v. 10.12.45. Siehe auch; Ebd., Bü.15, Plädoyer des Verbandes der saarländischen
Betriebskrankenkassen für ihren Erhalt vom 8.1.46.
71
Ebd., Bü.8, Exposé über Sozialversicherungsfragen, verfaßt vom Hauptreferat II, Sozialversicherung,
vom 24.6.46, Verfasser: W. Kimmritz. Siehe auch: Ebd., RP, Nr.5, Bl. 156.
72
Ebd., Bü.26, S tat. Vergi eichsmaterial über die Verhältnisse bei den saarländischen Krankenkassen in den
Jahren 1946, 1938 und 1934 als Anlage zur Begründung der Verordnung über die Neuordnung der
Sozialversicherung im Saarland. Aufgestellt am 29.4.47.
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