V. ENTWICKLUNG UND STRUKTUREN DER GEWERKSCHAFTEN
(1945-1955)
Im folgenden soll die Entwicklung der saarländischen Gewerkschaften zwischen 1945
und 1955 dargestellt werden. Ziel ist es, Übereinstimmungen und Unterschiede im
Vergleich zu den übrigen deutschen Ländern der Westzonen und der späteren Bundes¬
republik herauszufiltern und ihre große Bedeutung für die innenpolitische Entwicklung
und die Saarfrage herauszuarbeiten.
1. Politisierung und nationale Emotionalisierung
Die Entwicklung der saarländischen Gewerkschaften nach 1945 läßt sich in drei
Phasen einteilen. Die erste Phase umfaßte den Zeitraum vom Frühjahr 1945 mit den
ersten Organisationsversuchen über die Gründung und Zulassung der Einheitsgewerk¬
schaft mit den einzelnen Industrieverbänden bis zum Sommer 1947, als der der KP
angehörende Erste Vorsitzende des Industrieverbandes Bergbau (I.V. Bergbau) Oskar
Müller abgesetzt wurde, und sich einige Wochen später christliche Gewerkschaftler
abspalteten und eine eigene christliche Gewerkschaft gründeten. Bereits in dieser Phase
begann eine Politisierung der Gewerkschaftslandschaft, die auf die kommunistische
Majorisierung zurückzuführen war und durch die Gründung und Zulassung christlicher
Gewerkschaften zusätzliche Dynamik erhielt.
Ihr folgte eine kurze zweite Phase bis zum Sommer 1949, in der Heinrich Wacker als
Präsident der Einheitsgewerkschaft und Eduard Weiter, der Chef der Eisenbahnerge¬
werkschaft, versuchten, den zu dieser Zeit von Aloys Schmitt geleiteten I.V. Bergbau
stärker an die Einheitsgewerkschaft zu binden.
Es schloß sich eine dritte Phase an, die durch eine zunehmende nationale Emotionali¬
sierung geprägt war. Sie wurde mit der Verpachtungsfrage der Saargruben im Sommer
1949 eingeleitet. In dieser Phase verzahnten sich Politisierung und nationale Emo¬
tionalisierung und wurden bis zum Referendum am 23. Oktober 1955 zu bestimmen¬
den Entwicklungsfaktoren für die Gewerkschaften. Nationale Emotionalisierung meint
in diesem Zusammenhang, daß nationale Denkmuster innerhalb der Gewerkschaften
immer mehr Verbreitung fanden. Funktionäre und Mitglieder ließen sich in ihrer
Einstellung zum französischen Wirtschaftspartner und zur autonomen Saar immer
stärker von nationalen Gefühlen leiten, durch das Bewußtsein, als Saarländer zu
Deutschland zu gehören und seinem Vaterland die Treue halten zu müssen. So betonte
Aloys Schmitt, einer der führenden oppositionellen Gewerkschaftler: " (...) Deutsch
waren wir aber immer (...)".1 Hier offenbart sich eine Tradition, die an die Völker¬
Interview mit Aloys Schmitt am 27.1.1994.
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