Die politischen Verhältnisse im Saarland - Parteienlandschaft und Sozialstruktur der
Parlamentarier - wirkten sich auf den sozialpolitischen Standard ausgesprochen positiv
aus. Im saarländischen Landtag befand sich kein politisches Äquivalent zur bundes¬
deutschen F.D.P., die sozialpolitische Wohltaten verhindern wollte, wie ihre Rolle im
Parlamentarischen Rat, ihr Widerstand gegen das sozialpolitisch qualitativ einschnei¬
dende Sozialversicherungsanpassungsgesetz des Frankfurter Wirtschaftsrates zeigt.
Bundesjustizminister Dehler sprach in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am
12. Dezember 1951 von einer "Rentensucht" und "Rentenpsychose".453 In der Kriegs¬
opferversorgung wünschten die Liberalen, daß nur die Renten für die Schwerbeschä¬
digten erhöht werden sollten. Gegen Adenauers Rentenreformgesetz von 1957 meldete
die F.D.P. ebenso ihren Widerstand an wie gegen die von der CDU/CSU angestrebte
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.454 In der Familienpolitik verfolgte sie einen ebenso
restriktiven Kurs.455 Betriebsverfassungs- und Montanmitbestimmungsgesetz wurden
von der F.D.P. als "Teilenteignung" interpretiert. Die Liberalen standen davor, die
Koalition deshalb platzen zu lassen.456 Im Vorfeld hatte der F.D.P. - Bundestagsabge¬
ordnete Richard Hammer behauptet, daß mit der Idee der Betriebsgemeinschaft der
Stalinismus begonnen habe, die Anpassung an den Marktauftrag zwinge "dem Arbeiter
das Schicksal auf, das in dem Wort Prolet am besten umschrieben ist."457 Ähnlich hatte
sich 120 Jahre zuvor der liberale Minister der Julimonarchie Casimir Perier geäu¬
ßert: "Die Arbeiter müssen wissen, daß es für sie keinen anderen Ausweg gibt als
Geduld und Resignation".458
Im Gegensatz zu CDU/CSU und SPD wie auch zur DPS fehlte der F.D.P. ein Arbeit¬
nehmerflügel als Antipode.459
Entwicklung des Landes, München 1984. Ders. (Hrsg.), Trümmerzeit in München. Kultur und Gesellschaft
einer deutschen Großstadt im Aufbruch 1945-1949, München 1986.
453 Zit. nach: Hockerts, Sozialpolitische, S.202. Siehe auch ebd: S.113 und 229. Dr. Thomas Dehler
(1897-1967), Jurist, Rechtsanwalt, Mitbegründer des "Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold", von den
Nationalsozialisten verfolgt, nach 1945 u.a. Generalstaatsanwalt und Generalankläger für Entnazifizierung
in Bayern, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion 1953-1956, FDP-Bundesvorsitzender 1954-1957,
Bundesjustizminister 1949-1953. Siehe dazu: B a u m a n n, Biographien, Sp.135 f.
454
Blank, Sozialgesetzgebung, S.104 f.
455 Ebd, und Nell-Breuning, Der Beitrag, S.115.
456
Dorothee Buchhaas, Gesetzgebung im Wiederaufbau. Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen und
Betriebsverfassungsgesetz 1945-1952, Düsseldorf 1985, S.225, 257-259. Hockerts, Sozialpolitische,
S.392.
45' Buchhaas, Gesetzgebung, S.258, Anm.17 und 18.
458
Peter Jansen und Gerhard K i e r s c h, Länderstudien zur Gewerkschaftsbewegung. Frankreich, in:
Siegfried Mielke (Hrsg.), Internationales Gewerkschaftshandbuch. Opladen 1983, S.437,457.
459
Rolf Wen z e 1, Konrad Adenauer. Die Neuordnung der Grundstoffindustrien und die Mitbestimmung
als gesellschaftspolitische Frage, in: Albrecht Langner (Hrsg.), Katholizismus, Wirtschaftsordnung und
Sozialpolitik 1945-1963, Paderborn 1980, S.126,
281