Während die Kriegsopfer von der besonderen Situation an der Saar profitierten, konn¬
ten die Opfer des Nationalsozialismus keinen Vorteil daraus ziehen.
Im Gegenteil, letztlich wirkte sich gerade diese Sondersituation und eine aus Re¬
migranten bestehende politische Elite negativ für die Betroffenen aus. Die CVP als
stärkste und bedeutendste Regierungspartei mit Ministerpräsident Hoffmann entschied
sich für eine zurückhaltende und eher restriktive Wiedergutmachungspolitik, um eine
Polarisierung zwischen Exilanten einerseits und Dagebliebenen andererseits zu vermei¬
den. Darin liegt eine gewisse Tragik. Obwohl die Opfer des Nationalsozialismus im
Saarland in einem höheren Maße als in der Bundesrepublik von Leidensgenossen
regiert wurden, war ihre Situation aus heutiger Sicht noch beschämender als in der
Bundesrepublik.
Damit unterscheidet sich das Saarland von der DDR. Obwohl auch dort die politische
Elite im Kampf gegen den Nationalsozialismus dem Nazi-Terror ausgesetzt war und
viele emigriert waren, gilt für die ehemalige DDR nach bisherigem Forschungsstand,
daß sich die Kriegsopferversorgung im Vergleich zur Bundesrepublik und damit erst
recht im Vergleich zum Saarland auf insgesamt sehr niedrigem Niveau bewegte und an
strenge Kriterien gebunden war, während die Anstrengungen für die Opfer des Na¬
tionalsozialismus bzw. des Faschismus - wie es in der SBZ/DDR hieß - beachtlich
gewesen zu sein scheinen. Hier ist vor allem auf die Heilfürsorge hinzu weisen sowie
auf die enge Kooperaüon zwischen Regierung und der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes (WN). Genauere Untersuchungen erscheinen für das Thema Kriegs¬
opferversorgung und Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus dringend
geboten, um ein differenzierteres Bild zu gewinnen.440
Einer großzügigeren Versorgung der Opfer des Nationalsozialismus stand im Saarland
auch die Kriegsgefangenenfrage entgegen. Dies war Ausdruck einer auch in der
Bundesrepublik zu beobachtenden Entwicklung. Die Interessen der Opfer des Na¬
tionalsozialismus wurden durch andere soziale Gruppen verdrängt, deren Schicksal die
Öffentlichkeit stärker bewegte. In der Bundesrepublik waren es vor allem die Ost¬
flüchtlinge bzw. die Vertriebenen.441
Nicht nur die Landtagsabgeordneten der KP, sondern auch der jüdische Rechtsanwalt
Gustav Levy mußten sich bei der Forderung nach höheren Wiedergutmachungs¬
leistungen von CVP-Kollegen sagen lassen, das Schicksal der Kriegsgefangenen
vergessen zu haben.442 Solche Äußerungen waren populistisch, sie entsprachen der
F r e r i c h und Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd.2, S.23-25.
G o s c h 1 e r, Wiedergutmachung, S.203-213.
442 LTS DS 1/113, Niederschrift zur Sitzung vom 10.7.51, S.700.
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