Full text: Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft

Je stärker die Regierung für die Opfer des Nationalsozialismus eintreten würde, um so 
intensiver würde sie ihren Emigrantencharakter betonen und ein latentes Entfrem¬ 
dungspotential aktivieren, denn schließlich hatten die Saarländer für den Anschluß an 
Hitler-Deutschland gestimmt und damit gegen Hoffmann und Kirn. Die damaligen 
Warner Johannes Hoffmann, Richard Kirn und Edgar Hector gehörten jetzt aber zur 
politischen Elite. Von den 30 ordentlich ernannten und stellvertretenden Mitgliedern 
der Verfassungskommission hatten lediglich 14 sicher kein Emigrantenschicksal.432 
Bezeichnend ist die Feststellung von Alexander und Margarete Mitscherlich hinsicht¬ 
lich der Identifikaüon breiter Bevölkerungsschichten der Nachkriegszeit: "Wir erkennen 
unsere Vergangenheit besser im Ritterkreuzträger als im deutschen Emigranten".433 
Taktisch war Hoffmanns Strategie weitsichtig und geschickt, wie die Ereignisse um die 
Abstimmung zum Saar-Statut vom 23. Oktober 1955 zeigen sollten. Denn im Gegen¬ 
satz zur Zeit davor akzentuierten die Saarparteien die Parallele zur Abstimmung von 
1935 und verloren auch deshalb den Kampf, weil sie, wie Jürgen Hannig feststellt, das 
moralische und politische Selbstverständnis der Mehrheit der saarländischen Bevölke¬ 
rung falsch einschätzten, zu erklären aus einer "Diskrepanz zwischen den Erfahrungen 
und Wahrnehmungen der Masse der Saarländer und der Perspektive einer Minderheit, 
die sich auf ihre NS-Gegnerschaft und pazifistischen Überzeugungen berufen 
konnte".434 
Die Instrumentalisierung der Wiedergutmachungsfrage durch den politischen Gegner 
ist auch noch nach dem Referendum zu beobachten. Eine Glosse der der Sozialdemo¬ 
kratie zuzuordnenden "Saarbrücker Allgemeinen Zeitung" vom 16. Januar 1960 spielte 
auf Entschädigungsanträge ehemaliger Kabinettsmitglieder der Regierung Hoffmann 
an, die nach dem Inkraftreten des Bundesentschädigungsgesetzes im Saarland gestellt 
worden waren:"Aus der Nazizeit, aus der Nazizeit (...) klingt ein Lied noch immer dar. 
Der Song nämlich von der Entschädigung (...)". Der Wortlaut spiegelt nicht nur das 
nach wie vor angespannte Klima zwischen Prodeutschen und ehemaligen Autonomi¬ 
sten wider, sondern zeigt auch, daß das Thema vor dem Hintergrund der besonderen 
Geschichte des Saarlandes bis zur Geschmacklosigkeit politisch instrumentalisiert 
wurde.435 
432 
Jürgen Hannig, Separatisten-Nationalisten? Zum Abstimmungskampf 1955, in: Rainer Hudemann 
und Raymond Poidevin (Hrsg)., Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 
1992, S.384. 
433 
Mitscherlich, Die Unfähigkeit, S.68. 
434 
Hannig, Separatisten, S.393. Auch bei: Klaus-Michael M a 11 m a n n und Horst Steffens, Lohn 
der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an der Saar, München 1989, S.255, 258-260. Ähnlichkeiten zur 
DDR, Stichwort "Reimportierte Elite", S.266. 
435 LA SB, LEA 9954. 
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