Bekanntschaft geschlossen hatten, also so eine Art Nachahmung. Hinzu kommt, daß
die Angst wohl auch dadurch gefördert wurde, daß die Emigranten aus Hit¬
ler-Deutschland die Gewalt, die ihnen von den Nazis angetan wurde, zeigten. Da waren
Rücken mit Peitschenhieben und Narben zu sehen, da wurde von Folterungen be¬
richtet".411
In dieser Aussage offenbart sich, daß auch Gegner des Nationalsozialismus, die sich für
die innere Emigration oder den Widerstand entschieden hatten, den Emigranten letzt¬
lich eine Portion Feigheit unterstellten. Es zeigt sich zudem eine Rivalität des Wider¬
standes. Diejenigen, die in Deutschland geblieben waren und Widerstand leisteten, oder
für ihre politische Überzeugung von Entlassung und Maßregelung über Folter bis zum
Konzentrationslager dem NS-System ausgesetzt gewesen waren, wollen ihre Wider¬
standsleistung bis in die Gegenwart gegenüber den Emigrierten gewürdigt wissen,
nicht zuletzt deshalb vermuten Dagebliebene "Angst" als Motiv für die Emigration.
Zugleich bestätigt diese Erinnerung von Zeitzeugen die These von Alexander und
Margarete Mitscherlich:"Menschen erinnern nicht objektiv. Sie färben Geschichte
immer zu ihren Gunsten".412
Nach dem Zweiten Weltkrieg war wohl in keiner anderen Region die Remigrations-
quote bereits 1945 so hoch wie im Saarland. Die ehemaligen "Reichsfeinde" Hoffmann
und Kirn traten an die Spitze der von Deutschland abgetrennten Saar. Auch in der
saarländischen Nachkriegsgesellschaft waren die Emigranten nicht sehr beliebt. An
schriftlichen Quellen ist dies schwer nachweisbar, wohl aber im Rahmen der Oral
History. Gerade sie erscheint in diesem Zusammenhang unter methodischen Aspekten
geeignet zu sein, wenn es darum geht, die Einstellung der nichtemigrierten Bevölke¬
rung gegenüber den Emigranten zu begreifen. Subjektive Impressionen und emotionale
Aspekte, wie sie bereits eben deutlich wurden, sind dabei von besonderem Interesse,
und gerade sie sind über die Oral History rekonstruierbar.
Dennoch gibt es auch mehrere schriftliche Belege, die die Exilproblematik sehr ein¬
dringlich veranschaulichen. In einem Bericht über die politische Lage in seinem Land¬
kreis an die Militärregierung und den Präsidenten der Verwaltungskommission führte
der Landrat des Kreises Ottweiler Dr. Buschlinger aus:"Die Stimmen der Kritik richten
sich gegen die Gefahr, daß in der Regierung wiederum die Emigranten und nicht
geborene Saarländer zur Geltung kommen und damit der Eindruck erweckt wird, als ob
es im Saarland keine Intelligenz gegeben habe, welche in der Lage wäre, die Aufgaben
der neuen Zeit zu meistern". Wie einseitig und selbstgerecht viele "dagebliebene
Saarländer" die Geschichte verarbeiteten, wird aus seinen weiteren Bemerkungen
Interview mit Walter und Lina Bier am 19.5.1994.
412 M i t s c h e r 1 i c h, Die Unfähigkeit, S.65.
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