chef" widerspiegeln.25 Eine Analyse der saarländischen Sozialpolitik muß auch die
Frage nach ihrem Stellenwert im politischen Koordinatensystem beantworten. Ange¬
sichts der besonderen politischen Situation ist zu prüfen, ob sie in der Ära Hoffmann
eine spezielle Funktion hatte. Wurde sie instrumentalisiert, um eine von Deutschland
abgetrennte Saar zu stabilisieren? Wie wurde die saarländische Sozialpolitik an der
Saar, in Frankreich und in der jungen Bundesrepublik aufgenommen? Welche Rolle
spielten die saarländischen Gewerkschaften? Der Titel der vorliegenden Arbeit "Sozia¬
ler Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft" deutet schon eine Wertung an. Er
ist formuliert aufgrund vertiefter Erkenntnisse über die Verflechtungen der oppositio¬
nellen Kräfte in den Gewerkschaften mit den pro-deutschen Parteien. Mit Blick auf die
französisch-saarländische Wirtschaftsunion stellt sich die Frage, wie in der politischen
Praxis gewünschte Harmonisierungsprozesse abliefen, welche Konflikte sich aus der
Divergenz sozialer Traditionen und Wünsche im Saarland entwickelten.
Methodische Überlegung
Die Geschichte des Saarlandes ist die Geschichte eines Grenzraumes. Um die Mitte des
16. Jahrhunderts wurde mit dem Nürnberger Vertrag von 1542 das Land an der Saar
Grenzland.26 Die Grenzlanderfahrung bildet ein wesentliches Element der regionalen
Identität des Saarlandes und spiegelt sich in der Gegenwart in einem europäischen
Denken wider, das Richard von Weizäcker im Jahre 1984 bei seinem Antrittsbesuch als
Bundespräsident in Saarbrücken würdigte:" 'Die Saarländer leben uns vor, wie man
gleichzeitig ein guter Saarländer, ein guter Deutscher, ein guter Europäer und ein guter
Nachbar sein kann'",27
Das Leben an der Grenze, gerade auch mit seinen schmerzlichen Erfahrungen von
Spichern, Sedan und Verdun, der deutsch-französische Gegensatz im Zeitalter des
Nationalismus prägen einerseits kollektives Bewußtsein der Menschen, wie anderer¬
seits die Entstehung des Saarlandes auch die Ernte jener unheilvollen politischen
Beziehungen gewesen ist. Das Grenzlandschicksal bildet die kulturelle Identität und
kompensiert damit das Fehlen eines historischen Raumes.
25
So Tilman May e r , in: Ders. (Hrsg.), Jakob Kaiser. Gewerkschafter und Patriot. Eine Werkauswahl,
Köln 1988, S.96. Dieter Marc Schneider, Gilbert Grandval. Frankreichs Prokonsul an der Saar,
1945-1955, in: Stefan Martens (Hrsg.), Vom "Erbfeind" zum "Erneuerer" (Francia-Beihefte Bd.27),
Sigmaringen 1993, S.201-244. Schneider, Das Wunder, S.177 und Abb. 61, 62.
26 Hans-Walter Herrmann, Umstrittener Grenzraum Saar, in: Deutschland. Porträt einer Nation, Bd.8,
Gütersloh 1986, S.418.
27
Zitiert nach: Fred Oberhäuser, Das Saarland. Kunst und Kultur im Dreiländereck zwischen Blies,
Saar und Mosel, Köln 1992, S.10.
19