Die Saarländer erkannten mehr und mehr den wirtschaftlichen Aufschwung der Bun¬
desrepublik und unternahmen Hamsterfahrten ins Bundesgebiet. In der zweiten Hälfte
der fünfziger Jahre stellte sich in der Bundesrepublik auch Vollbeschäftigung ein, die
letztlich bis zu den Folgen der ersten Ölkrise und der Rezession Mitte der siebziger
Jahre anhielt und danach bis heute nicht mehr auch nur annähernd erreicht wurde.46 Die
psychologische Bedeutung der Arbeitslosenquote und der soziale Wert von Voll¬
beschäftigung kann für eine Bevölkerung, die zwei Weltkriege, Wirtschaftskrisen und
Hungerjahre erlebt hatte, nicht hoch genug eingeschätzt werden.47 Dies gilt auch für das
Saarland, das Ende 1931 unter einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent zu leiden
hatte.48
Die politische Bedeutung der Vollbeschäftigung im Saarland spiegelt sich auch in
einem Bericht des Grenzlandausschusses des rheinland-pfälzischen Landtages wider.
Die Landespolitiker versuchten geschickt finanzielle Forderungen des Bundes mit dem
Hinweis einzufordem, das Saarland betreibe eine aktive "Grenzland- und Schaufenster¬
politik".
Vor dem Hintergrund der Vollbeschäftigung im Saarland entstünde ein Politikum
ersten Ranges, wenn die Bautätigkeit der Alliierten aufhöre und Dauerarbeitslosigkeit
entstünde. Rheinland-pfälzische Landespolitiker instrumentalisierten ihrerseits die
günstige wirtschaftliche und soziale Situation des Saarlandes mit seiner minimalen
Arbeitslosenquote, um den Bund aus saarpolitischen Überlegungen zu finanziellen
Hilfen für die Wirtschaft in den an das Saarland angrenzenden Kreisen wie Saarburg,
Trier-Land, Birkenfeld, Kusel und Zweibrücken zu veranlassen.49
In der Säuglingssterblichkeit, einem für die Lebensverhältnisse wichtigen Indikator,
schnitt das Saarland auf den ersten Blick eher ungünstig ab. Relativierend muß aber
betont werden, daß generell im Saarland die Säuglingssterblichkeit höher war als im
deutschen Durchschnitt, so kamen 1938 auf 100 Lebendgeborene in Deutschland 5,9
tote Säuglinge, im Saarland dagegen 7,3. Dennoch verbesserte sich die Entwicklung im
Klaus M e g e r 1 e, Die Radikalisierung blieb aus. Zur Integration gesellschaftlicher Gruppen in der
Bundesrepublik Deutschland während des Nachkriegsbooms, in: Hartmut Kaelble (Hrsg.), Der Boom
1948-1973, Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und in
Europa, Opladen 1992, S.l 16. Die Arbeitslosenquote der BRD: 1950: 11,0 Proz. / 1956: 4,4 Proz. /1965:
2,1 Proz./ 1970: 0,7 Proz.
47
Josef M o o s e r, Abschied von der "Proletarität". Sozialstruktur und Lage der Arbeiterschaft in der
Bundesrepublik Deutschland in historischer Perspektive, in: Werner Conze und M. Rainer Lepsius, (Hrsg.),
Sozialgeschichte der BRD. Beiträge zum Kontinuitätsproblem, Stuttgart 1983, S.162.
48 Robert H. S chmi dt, Saarpolitik 1945-1957, Bd. 1, Berlin 1959, S.l 11.
49
DGB-Archiv Düsseldorf, 24/351. Bericht des Grenzlandausschusses des Landtages von Rheinland-Pfalz.
Auswirkungen der Abtrennung des Saargebietes auf die Grenzkreise des Landes Rheinland-Pfalz vom
28.1.53. Zur rheinland-pfälzischen Saarpolitik: Küppers, Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition.,
S. 249-272.
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