nell nationalstaatliche Legitimierung schrittweise liquidierte.10 Sozialer Wohlstand
wirkte als gesellschaftliche Klammer, die zu einem wesentlichen Teil für die politische
Stabilität Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte. In diesem Zusammenhang
sei auf Alfred Grosser verwiesen und seine These, daß sich Entwicklung und Stabilität
der Bonner Demokratie ohne ihre ökonomische und soziale Entwicklung nicht begrei¬
fen läßt.11
Inwieweit gilt dies auch für das Saarland? Die Grenze des Saarlandes zur Bundesre¬
publik - war sie nicht auch eine Sozial- und Wirtschaftsgrenze? Die Saarländer er¬
schienen in den ersten Nachkriegsjahren ihren deutschen Nachbarn zunächst als
"Speckfranzosen", der bescheidene saarländische Wohlstand war Anreiz für die Bevöl¬
kerung der dem Saarland zugeschlagenen Kreise Trier/Land und Saarburg, sich im Juni
1947 gegen ihre Rückgliederung an Rheinland-Pfalz zu wehren.12 Armin Heinen hat
anhand von Karrikaturen nachgewiesen, daß die bundesdeutsche Öffentlichkeit die
Anlehnung des Saarlandes an Frankreich als Opportunismus interpretierte, als eine
Entscheidung für das wirtschaftlich stärkere Land.13 * Andererseits läßt sich beobachten,
daß die zunehmende Orientierung der Saarländer an Deutschland der Dynamik des
bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders folgte.
Die saarländischen Parteien versuchten in den ersten Jahren der Ära Hoffmann über die
Sozialpolitik die geringen wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielräume zu kompensie¬
ren und sich durch die forcierte Trennung von Wirtschafts- und Sozialpolitik vom
französischen Wirtschaftspartner zu emanzipieren, letztlich wohl in der Hoffnung,
insgesamt größere politische Spielräume zu gewinnen.
Bestimmte Elemente der saarländischen Sozialpolitik wie die Gestaltung der Familien¬
zulagen und auch die Rentenpolitik zeigen, daß sie auf die Sozialstruktur des Landes
wie ein Maßanzug zugeschnitten worden sind. Dieses Ergebnis suggeriert geradezu die
Frage, ob die Sozialpolitik dazu instrumentalisiert wurde, um die Abtrennung von
Hans Günter Hockerts, Hundert Jahre Sozialversicherung. Ein Bericht über die neuere Forschung,
in: Historische Zeitschrift (HZ) 237/1983, S.362.
11 Alfred Grosser, Geschichte Deutschlands seit 1945, München 1970, S.264. Siehe auch: Hans-Peter
Schwarz, Modernisierung oder Restauration? Einige Vorfragen zur künftigen Sozialgeschichts¬
forschung über die Ära Adenauer, in: Kurt Düwell und Wolfgang Köllmann (Hrsg.), Rheinland-Westfalen
im Industriezeitalter. Vom Ende der Weimarer Republik bis zum Land Nordrhein-Westfalen, Wuppertal
1984, S.292.
12
Armin Heinen, Vom frühen Scheitern der französischen Saarpolitik. Politik und Ökonomie 1945-
1950, in: Von der 'Stunde 0' zum 'Tag X\ Das Saarland 1945-59. Katalog zur Ausstellung des
Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1990, hrsg. v. Stadtverband
Saarbrücken, Merzig 1990, S.158.
13 Ders., Saaijahre. Politik und Wirtschaft an der Saar 1945-1955, 2 Bde„ Habilitationsschrift Universität
Saarbrücken 1994.
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