2.2 Egalitätspolitik in der Rentenversicherung
Im Sommer 1951 gestaltete die saarländische Regierung mit dem Gesetz über Ver¬
besserungen in der Invaliden- und Angestelltenversicherung ein großes Reformwerk.84
Seine fortschrittlichen Bestimmungen wurden durch das Saarknappschaftsgesetz auch
auf die Bergleute ausgedehnt.85 Der innovative Charakter des Gesetzes lag vor allem in
der Anpassung und Vereinheitlichung des Leistungsrechts. Die bisherigen Unter¬
schiede für Angestellte und Arbeiter in der Rentenversicherung fielen weg. Gleich¬
zeitig wurde damit die Zweiteilung der gesetzlichen Rentenversicherung, die Klassen¬
unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten akzentuierte, beendet. Das Hohe
Kommissariat würdigte in einem internen Schreiben das Gesetz mit den Wörtern
"excellente" und "souhaitable" und unterstützte die gesellschaftspolitische Richtung
dieser Reformen, weil sie auch eine gewisse Annäherung an die französische Gesetz¬
gebung, z.B. was die vorgesehene Herabsetzung des Rentenalters betraf, bedeuteten.
Vor allem wurde aber in der Egalisierung von Arbeitern und Angestellten in der
Rentenversicherung eine Entfernung von der deutschen Sozialversicherungstradition
gesehen, die ausdrücklich begrüßt wurde.86 Den saarländischen Sozialpolitikern von
CVP und SPS ging es aber darum, die unsoziale Zweiteilung der deutschen Renten¬
versicherung zu überwinden.
2.2.1 Historischer Rückblick
Ein Rückblick auf die Entwicklung und Struktur der Rentenversicherung vor 194587 ist
notwendig, um die Qualität der saarländischen Rentengesetze vom Juli 1951 bewerten
zu können.
Unsoziale Zweiteilung der deutschen Rentenversicherung
Das Angestelltenversicherungsgesetz des deutschen Kaiserreiches aus dem Jahre 1911
betonte die soziale Ungleichheit. Arbeiter und Angestellte wurden hinsichtlich ihrer
Ansprüche an die gesetzliche Sozialversicherung nicht gleich behandelt. Die Alters¬
grenze in der RentenVersicherung betrug für Angestellte 65, für Arbeiter aber 70 Jahre,
84 Gesetz über Verbesserungen in der Invaliden- und Angestelltenversicherung vom 11.7.1951, in: Abi,
1951, S.1123, 1380.
85 Vgl. Saarknappschaftsgesetz vom 11.7.51, in: Abi. 1951, S.1099f.
MAE Nantes, HCS, MJ./Q.S., J I 2, Miss. Dipl, vom 10.3.52. Note à l'attention de Monsieur le chef du
service juridique. Ebd., Mission Juridique/ Questions Economiques (M.J./Q.E.), E VI 4/ E VI 5, Exposé
(masch.) mit dem Titel 'Quel est le problème' betreffend die Rentengesetze vom Juli 1951 ohne Verfasser¬
und Datumsangabe: "(...) ces textes contiennent par ailleurs des dispositions excellentes, souhaitables
même rapprochement notamment du régime des pensions ouvriers et employés conforme à la justice et
éloignant le droit sarrois du droit allemand".
87 Zu den Anfängen der Rentenversicherung in Frankreich und der Rezeption der deutschen Alters- und
Invalidenversicherung siehe: Karen Schiedewind, Soziale Sicherung im Alter. Nationale Stereotypen
und unterschiedliche Lösungen in Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in:
Francia 21/3 - 1994, S.29-49.
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