Bevor darauf einzugehen ist und die Konsequenzen für das Verhältnis von Elsaß und dem
seit 843 existierenden Zwischenreich anzusprechen sind, sei kurz erwähnt, was über dieses
in seiner politischen Geographie zukunftsträchtige regnum Karls des Kahlen bekannt ist
bzw. vermutet werden darf: Von 830 bis 833 datieren St. Galler Urkunden nach Karl,44
bevor dann - Spiegel der politischen Wirren - an gleicher Stelle für die Zeit von 834 bis 838
von Ludwig dem Deutschen als rex Alamannorum bzw. rex in Alamannia die Rede ist.45 Als
Zentrum dieses regnum Karls des Kahlen kann der Bodenseeraum angesprochen werden,
der bereits in der Merowingerzeit mit der Herzogsresidenz Überlingen diese Funktion
ausübte:46 Erinnert sei hier an das Reichenauer Begrüßungsgedicht In adventu Caroll filii
Augustorum, das Walahfrid Strabo, seit dem Frühjahr 829 in Diensten der Kaiserin Judith,
für Karl, die regum sancta proles, verfaßt hat.47 Als politisch-herrschaftlicher Mittelpunkt von
Karls Reich scheint die Pfalz Bodman ausgebaut worden zu sein, die gerade um 830
erstmals als palatium in den Quellen begegnet.48
Schließlich sollte nicht unerwähnt bleiben, daß in der klösterlichen Memorialpraxis,
speziell der Gebetsverbrüderung zwischen Klöstern, wie sie ab 800 im Karolingerreich auf
breiterer Basis angestoßen wurde,49 gewiß nicht zuletzt auch Mittel politischer Integration
zu erkennen sind: So sind für den hier interessierenden Zusammenhang die jüngst von Uwe
Ludwig herausgearbeiteten Beziehungen zwischen der Reichenau und Murbach von beson¬
derem Interesse.50 Wohl bereits um 800 hat die elsässische Abtei mit dem Inselkloster eine
fraternitas abgeschlossen, und einen Höhepunkt erreichten die Kontakte zur Zeit des
Murbacher Abtes Sigimar in den 30er Jahren. Wie sehr solche Initiativen von den politi¬
schen Rahmenbedingungen mitbestimmt waren, zeigt der Abbruch der Beziehungen in der
44 Urkundenbuch Sanct Gallen (wie Anm. 24) Nr. 330 S. 304, Nr. 337 S. 311, Nr. 343 S. 318.
45 Ebd. Nr. 346 ff. S. 322 ff.
46 Vgl. Kel ler, Fränkische Elerrschaft (wie Anm. 14) S. 14 f.
47 Walahfridi carmina Nr. 64, in: MGH Poetae 2 (wie Anm. 8) S. 406. Vgl. K. Beyerle, Von der Grün¬
dung bis zum Ende des freiherrlichen Klosters, in: Die Kultur der Abtei Reichenau 1. 1925 S. 55-212,
hier S. 98. Vgl. zum Herrscherempfang auf der Reichenau und in St. Gallen P. Willmes, Der Herr-
scher-'Adventus' im Kloster des Frühmittelalters (MünsterMASchrr 22) 1976 S. 86 ff. und für das 10.
Jahrhundert H. Maurer, Der Herzog von Schwaben. 1978 S. 1 70 ff. Zu Walahfrid vgl. F. Brunhölzl,
Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 1. 1975 S. 345 ff.
48 Vgl. die Nachweise bei H. Maurer, Bodman, in: Die deutschen Königspfalzen 3: Baden-Württemberg.
1. Lfg. 1988 S. 23.
49 Vgl. mit allen Nachweisen zum Thema K. Schmid, Gebetsverbrüderungen, in: Lexikon des Mittel¬
alters 4. 1989 Sp. 1161 und O.G. Oexle, Memoria, Memorialüberlieferung, in: Lexikon des Mittel¬
alters 6. 1993 Sp. 510-513. Zur Bedeutung des Zeithorizonts um 800 vgl. R. Rappmann/A. Zettler,
Mönche, Konvent und Totengedenken der frühmittelalterlichen Reichenau (Archäologie und
Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland 5) [im Druck],
50 Vgl. U. Ludwig, Murbacher Gedenkaufzeichnungen der Karolingerzeit, in: Alemannjb Jg. 1991/92.
1992 S. 221-298, hier S. 264 ff. Zur politisch bedingten Regionalisierung der klösterlichen Memorial¬
praxis im 9. Jahrhundert vgl. auch D. Geuenich, Regionale und überregionale Beziehungen in der
alemannischen Memorialüberlieferung der Karolingerzeit, in: Früh- und hochmittelalterlicher Adel in
Schwaben und Bayern. Hg. von I. Eberl u.a. 1988 S. 197-216.
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