Full text: Lotharingia (26)

511 wurde das Frankenreich in vier Teile geteilt, doch der älteste Sohn Chlodwigs, Theude¬ 
rich, stammte aus einer kirchlich nicht sanktionierten Verbindung, während Chlodomer, 
Childebert und Chlothar Söhne aus des Königs Ehe mit der burgundischen Prinzessin Chro- 
dichilde waren. Nur Indizien sprechen dafür, daß sich Theuderich sein Erbe ertrotzt hat9, 
erkennbar ist aber, daß Chlodwigs Witwe die eigenen Söhne begünstigte. Insofern ließe sich 
auch von einem Nachgeben ihrerseits reden, von einem Kompromiß, der damit auch 
die grundsätzliche Erbberechtigung sog. unehelicher Söhne betraf. Dieser Aspekt hatte für 
Jahrhunderte eine außerordentliche Bedeutung, denn die königliche Qualität eines Mero- 
wingers konnte nie entscheidend durch den sozialen oder rechtlichen Status seiner Mutter 
gemindert werden. 
Im Sinne der These von einer herrschaftsberechtigten stirps regia und erst recht jener 
Annahme, daß durch Teilungen möglichst viel Königsheil gesichert werden sollte, hätte es 
gelegen, im Jahre 511 auch Theuderichs bereits erwachsenen Sohn Theudebert zu berück¬ 
sichtigen, den Gregor von Tours schon zu 511 ausdrücklich als elegans atque utilis rühmt, 
also als bemerkenswert stattlich und tüchtig.10 Da dieser Enkel Chlodwigs sich seinerseits 
erst nach seines eigenen Vaters Tod gegen seine Oheime das Elerrschaftsrecht erkämpfte11, 
läßt sich - in verkürzter Darstellung - von zwei verschiedenen Erbrechtsgrundsätzen 
sprechen, deren erster sich in der fränkischen Geschichte als stärker erwies, ohne sich 
allerdings ausschließlich durchzusetzen: Rund vier Jahrhunderte lang dominierte das sog. 
Anwachsungsrecht der Brüdergemeine - beim Tode eines Bruders sicherten sich die rest¬ 
lichen Brüder, ggf. der letzte, dessen Reich und teilten es.12 In Konkurrenz zu diesem 
brüderlichen Erbanspruch steht der Erbanspruch der Söhne eines verstorbenen Bruders oder 
- um mit Heinrich Mitteis zu sprechen - das Eintrittsrecht der Neffen gegenüber den 
Ansprüchen der Oheime.13 Die Entscheidung für den stärkeren Rechtsanspruch der Brüder 
auf des verstorbenen Bruders Erbe fiel faktisch nach König Chlodomers Tod 523/24, und 
zwar in brutaler Form.14 Chlodwigs Witwe Chrodichilde hatte des verstorbenen Königs drei 
minderjährige Söhne, also ihre Enkel, zu sich genommen, um ihnen das väterliche Erbe zu 
sichern. Deren Oheime verständigten sich indes auf Teilung zu ihren eigenen Gunsten und 
brachten zwei der Kinder mit List in ihre Gewalt. Dann schickten sie einen Boten mit einer 
Schere und einem gezückten Schwert zu ihrer Mutter. „Als er zur Königin kam, zeigte er ihr 
beides und sprach: 'Deinen Willen, ruhmreiche Königin, wünschen Deine Söhne, unsere 
Gebieter, zu erfahren, was Du nämlich meinst, daß mit diesen Knaben geschehen müsse: 
ob ihnen die Locken geschoren werden und sie leben sollen, oder ob man sie beide 
9 Reinhard Schneider, Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter. Untersuchungen zur 
Herrschaftsnachfolge bei den Langobarden und Merowingern (Monographien zur Geschichte des 
Mittelalters, Bd.3), Stuttgart 1972, S.72f. mit Anm.49. - Auch im folgenden zu vergleichen. 
10 Gregor von Tours, Historiae III, 1 S. 97. 
11 Schneider (wie Anm.9) S. 79ff. 
12 Reinhard Schneider, Brüdergemeine und Schwurfreundschaft. Der Auflösungsprozeß des Karlinger- 
reiches im Spiegel der caritas-Terminologie in den Verträgen der karlingischen Teilkönige des 9. Jahr¬ 
hunderts (Lübeck-Hamburg 1964) S. 80ff., 106ff. 
13 Heinrich Mitteis, Der Vertrag von Verdun im Rahmen der karolingischen Verfassungspolitik, in: Der 
Vertrag von Verdun, hrsg. von T. Mayer (Leipzig 1943) S. 77ff. 
14 Drastisch geschildert von Gregor von Tours, Historiae III, 18; im folgenden wird nach der Übersetzung 
von Rudolf Büchner zitiert. 
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