feststellen, was zum einen damit erklärt werden kann, daß die Erfordernisse des
Krieges andere Rahmenbedingungen setzten, zum anderen aber auch durch den
Umstand, daß ab August 1943 Himmler zum Reichsinnenminister und Generalbe¬
vollmächtigten für die Reichsverwaltung ernannt worden war und damit der höch¬
ste SS-Potentat mit seinem Unterdrückungsapparat über den direkten Zugriff auf
Bürokratie und Beamtenschaft verfugte.
Bürckels Eigenmächtigkeiten, von Hitler lange Zeit gedeckt, erstreckten sich bis in
die entlegensten Bereiche hinein, so z.B. die Abstellung von Forstbeamten nach
Lothringen unter Androhung polizeilicher Zwangsmaßnahmen, die zahlreichen
dirigistischen Anordnungen im Schulwesen, die selbstherrliche Zusammenlegung
von Landratsämtem und die Abordnung saarländischer und pfälzischer Landräte
als "Landkommissare" nach Lothringen oder die Übertragung von Aufgabengebie¬
ten oder der gesamten Arbeit von Landratsämtem an andere Ämter6. Gerade im
Fall Lothringen zeigt sich aber auch, wie eine Politik zur "Festigung des deutschen
Volkstums" außerhalb des alten Reichsgebietes ins "Altreich" hineinwirkte. Die
politischen Maßnahmen zur Germanisierung schlugen sich nieder in einem Ver¬
waltungsumbau im Reichskommissariat, hatten aber auch Auswirkungen auf die
Bevölkerung im Saar-Pfalz-Raum,
Den massiven Beschwerden über dieses Schalten und Walten konnte sich Bürckel
wohl so lange entziehen, als er aufgrund früherer "Verdienste" in der Pfalz, an der
Saar, in Österreich und in Lothringen das uneingeschränkte Vertrauen seines
"Führers" besaß bzw. in der Kriegsphase eine andere Gewichtung sein Handeln zu
rechtfertigen schien. Seinem Macht- und Autonomiestreben vergangener Jahre war
solange kein Einhalt geboten worden, als es noch den Prinzipien der Partei und be¬
sonders den Wünschen Hitlers entsprach, gerade bei der "Eindeutschung" Lothrin¬
gens. Er wurde fallengelassen, als er sich gegen Ende des Krieges beim Vorrücken
der Alliierten gegen seinen Machtbereich Abänderungen von Befehlen und An¬
ordnungen aus Berlin erlaubte, und dies zu einem Zeitpunkt, wo sich unter der
Prämisse des "totalen Krieges" die Ideologisierung aller Lebensbereiche abzeich¬
nete, und als in der Verwaltung, so wie in der Wehrmacht, der Primat der Partei
nicht mehr zur Diskussion stand.
Dieser Machtzuwachs der Partei stärkte besonders unter den Kriegsereignissen ih¬
ren Repräsentanten den Rücken. In diesem Sinne war mit der Verordnung über die
Reichsverteidigungskommissare und die Vereinheitlichung der Wirtschaftsverwal¬
tung vom 16. November 1942 Bürckel in seiner Eigenschaft als Gauleiter zum
Reichsverteidigungskommissar bestellt worden, was er nach der Verordnung über
die Bestellung von Reichsverteidigungskommissaren vom 1. September 1939 noch
nicht war. Nunmehr waren alle Gauleiter aufgrund ihrer Parteifunktion mit Auf¬
gaben der staatlichen Mittelinstanz betraut, ähnlich der Ernennung der Gauleiter
zu Gauwohnungskommissaren und Gaubeauftragten des Generalbevollmächtigten
für den Arbeitseinsatz; übereinstimmend mit den Parteigauen waren auch die Ge¬
6 Abdr. d. Sehr, des Bayer. Min.Präs. v. 5.8.1940 und v. 27.7.1940. BHStA München, Best. MA
105.291.
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