- also steigende Tendenz, die in den Ergebnissen der Kreistagswahlen noch ver¬
deutlicht wurde5. Die erhoffte "naturwüchsige Immunität" des linken Lagers und
der Arbeiterschaft gegenüber dem Faschismus war also am 13. Januar 1935 aus¬
geblieben; dörfliche und bürgerliche Lebensumwelt, das Eingebundensein in tradi¬
tionelle, soziale Lebensumstände zollten der Rückgliederungsentscheidung ihren
Tribut.
Die sozialdemokratische Partei verfugte im gleichen Zeitraum zwar noch über ei¬
nen verhältnismäßig soliden Wählerstamm, wobei nur das Ergebnis der Landes¬
ratswahl von 1932 abfällt, doch zeigt ein Vergleich aller Wahlergebnisse seit 1919
einen konstanten Rückgang der Stimmen (von 36,5%, N.V. 1919, auf 9,7% der
Gemeinderatswahlen von 1932).
Zusammengerechnet ergibt dies für die Linksparteien 32,5% oder zuzüglich der
Stimmen von KPO und SAP ca. 34,6%, was mit den aus dem christlichen Lager
erwarteten Stimmen dem von antifaschistischer Seite errechneten und verkündeten
40prozentigen Stimmenanteil für den Status quo in etwa entspricht6.
Welch geringere Rolle das rechte Wählerpotential in den vorangegangenen Wah¬
len direkt gespielt hatte, ergibt sich aus seinen bescheidenen Stimmenanteilen; so
stieg die NSDAP seit den Kreistagswahlen von 1929 bis zu den Gemeinde¬
ratswahlen von 1932 von 0,3% auf 6,4%, und bei der DNVP, die seit 1919 kaum
über 1% hinauskam, datierte das höchste Ergebnis von 3,8% bereits aus dem Jahre
1928. Demnach resultieren die Zugewinne für die Deutschlandstimmen in nicht
unbeträchtlichem Umfang auch aus dem linken Lager, das selbst in KP-Hochbur-
gen bzw. allgemein in Gemeinden mit zahlreichen Linkswählern starke Verluste
hinnehmen mußte; bei einem Vergleich von KPD-, KPO- und SPD-Stimmen der
Kommunal wähl vom 13. Oktober 1932 mit den Status quo-Stimmen der Saar-Ab¬
stimmung ergibt sich folgende Verlustrechnung (vgl. Abb. 1);
Die Verluste an Linkswählerstimmen sind enorm, betragen sie doch zeitweilig
weit über 50%, Entscheidend für die Deutschland-Alternative dürften jedoch die
taktischen Maßnahmen der Nationalsozialisten ab dem Sommer 1933 gewesen
sein, die nationalen und autoritativen Traditionen der Saarbevölkerung für ihre
Belange einzuspannen, wobei die Auflösung der Parteien und die Gründung der
Deutschen Front (14. Juli 1933; Zusammenschluß der bürgerlichen Parteien zur
Ersten Deutschen Front; Zweite Deutsche Front: 21. Oktober 1933; Dritte Deut¬
sche Front: 26. Februar 1934) von entscheidender Bedeutung waren. Ebenso zählte
das Kalkül, daß die NSDAP-Saar scheinbar in der Deutschen Front aufging (26.
Februar 1934: Auflösung der NSDAP-Saar) und so die Identität des NS-Staates
und seiner Parteiorganisation mit der Deutschen Front für die Zeit des Abstim¬
mungskampfes verschleiert wurde. Zugewinne en gros kamen folglich aus den
5 Vgl. zu dem Folgenden im Anhang jeweils die Zusammenstellungen der Wahlergebnisse im Saargebiet.
6 Zur nationalen Haltung der Linken in den zwanziger Jahren s. I. Kap. 5.1. Zur politischen Kultur der
Linken bes. L. Linsmayer, Politische Kultur, S. 163-302, 349-371.
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