Sechstes Kapitel
Die NSDAP, ihre Gliederungen, angeschlossenen Verbände
und Organisationen an der Saar - Aufbau, Unterstellung,
Einsatz und Wirkung
1. Besonderheiten beim Aufbau der Parteiorganisation ab März 1935
Waren bereits in der Walz die Zugewinne für die NSDAP1 hauptsächlich erklärbar
mit der "Volksgemeinschafts"-Parole oder der außenpolitischen, sich gegen "Ver¬
sailles" richtenden Propaganda der NSDAP, die im Zusammenhang mit der nach
1918 entstandenen Grenzlage sowie der größtenteils dadurch hervorgerufenen
wirtschaftlichen Misere zu sehen war, so fiel an der Saar der "Volksgemein-
schafts"-Gedanke aufgrund des nationalen Zugehörigkeitsgefühls zur deutschen
Heimat nach ISjähriger Abtrennung um so mehr auf fruchtbaren Boden. "Ver¬
sailles" hatten die Saarländer durch die Sonderverwaltung am eigenen Leibe
erfahren, und die Grenzlage war ja naturgegeben. In puncto wirtschaftliche
Schlechterstellung aber hatte die Reichspropaganda und die Deutsche Front schon
kräftig nachhelfen müssen, um vor der Abstimmung diesbezügliche Ressentiments
zu erzeugen.
Trotz des starken katholischen Bevölkerungsanteils in der Pfalz (42,05 Proz. der
Bevölkerung) hatte sich diese schon bei der Reichstagswahl im September 1930 in
starkem Maße für die NSDAP (22,8 Proz. der Stimmen gegenüber 18,3 Proz. im
Reich) entschieden; aber auch in der Folgezeit erwiesen sich die Pfälzer Katholi¬
ken empfänglich gegenüber dem nationalsozialistischen Werben, während es sich
in den Hochburgen der NSDAP im Reich doch durchweg um Protestanten handel¬
te2; in zahlreichen protestantischen Dörfern der Pfalz erreichte die NSDAP 1930
über 50 Prozent. Diese beachtlichen Wahlergebnisse waren nicht zuletzt seinem
Gauleiter Bürckel zu verdanken, der damit seinen Gau zum "Mustergau" der
NSDAP machte. In einer vergleichbaren Lage befanden sich die Saarländer, wobei
sie allerdings der euphorischen Stimmung im Reich und in der Pfalz hinterher¬
hinkten. Noch verhältnismäßig jung (am 1. Januar 1927 vorläufige Bestätigung
der Bildung des NSDAP-Gaues "Saargebiet" und seines Gauführers, J. Jung, durch
Hitler), mit wenigen und dazu noch relativ schwachen "Hochburgen" (Kirkel,
1 Zum Aufstieg der NSDAP im Reich s. M. Broszat, Der Staat Hitlers, S. 13-32. Die "Geschichte der na¬
tionalsozialistischen Bewegung", "Das Programm der NSDAP” sowie der "Örganisatorische(r) Aufbau
der NSDAP", in: Die Verwaltungsakademie, Gruppe 1; 5, 6, 6a einschl. Nachtrag zu 5 und 6a (Bd.
"Nachträge").
2 Vgl. H. Prantl, Zur Geschichte der Kath. Kirche, S. 80. Bei den Reichstagswahlen v. 12.11.1933 war
die Region Pfalz wieder unter den Wahlkreisen mit den meisten Stimmen für die Einheitsliste der
NSDAP: Stat. Jahrbuch für den Freistaats Bayern 1934, S. 534f. Ebenso W. Hartwich, Die Ergebnisse
der Reichstags- und Bundestagswahlen von 1890-1969, S. 661-688.
337