in den 1860er Jahren und gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe neuer
Rechtsnormen ergangen waren. Die entscheidende Eigenheit der belgischen Ausländerpo-
iitik war, daß Nicht-Belgier grundsätzlich einer Überwachung durch die sûreté unter¬
lagen. Dies wurde dadurch gewährleistet, daß in Belgien seit den 1860er Jahren ein
vorbildliches Meldewesen existierte. Ausgewiesen wurden "individus dangereux", d.h.
in erster Linie strafrechtlich Verfolgte, und Personen, welche die öffentliche Ordnung,
Moralität oder Ruhe - "l’ordre, la moralité ou la tranquillité publique" - störten. Die
Naturalisierung zum Belgier war nach dem Territorialprinzip so unproblematisch wie
in Frankreich.225
Die luxemburgischen Gesetze über die Fremdenpolizei aus den Jahren 1880 und 1893
waren eindeutig vom belgischen Vorbild inspiriert worden.226 Die rechtliche Neufassung
sollte sich offenbar stärker an deutschen Leitbildern orientieren. Speziell die explizite
Einbeziehung des Konkubinates in den strafrechtlichen Tatbestand einer Störung der
öffentlichen Ordnung, wie es in den deutschen Bundesstaaten Bayern, Württemberg,
Baden, Hessen und Braunschweig geschah, wollte sich die luxemburgische Obrigkeit
zueigen machen.227
Nachdem sich in der luxemburgischen Abgeordnetenkammer Ende des Jahres 1912 die
Meinung verfestigt hatte, "daß die Fremdenpolizei nicht mit genügender Strenge
wahrgenommen zu werden scheine, oder daß die gesetzlichen Bestimmungen den
Fremden gegenüber keinen ausreichenden Schutz der öffentlichen Ordnung darbieten,
und demgemäß eine Verschärfung der polizeilichen Maßnahmen ins Auge zu fassen sei",
richtete der Generalstaatsanwalt eine Anfrage an die Gendarmeriestationen des Landes,
inwieweit sie es für durchführbar hielten, einen Strafregisterauszug seitens der aus¬
ländischen Immigranten zu fordern.228
Der Vorschlag der Staatsanwaltschaft traf weitestgehend auf Zustimmung, außer in
Rümelingen, wo man glaubte, die Maßnahme würde "die Mehrzahl der friedliebenden,
gutgesinnten ausländischen Arbeiter allzusehr treffen".229 Daneben hielt der Brigadier-
Stations-Kommandant von Eich "diese Beibringung" für "mehr oder minder wertlos",
223 Vgl. ebda.: Gutachten über die Ausländerpolitik in Belgien. Im Königreich wurden spätestens
seit 1865 ständige kommunale Einwohnerregister geführt.
226 Vgl. ebda.: Expulsion - droit comparé mit einer Zusammenfassung der drei Einzelgutachten.
227 Die Darstellung der deutschen Rechtslage nimmt im Bestand ANL J 70/4 erheblich mehr Raum
ein als die Gutachten über die Verhältnisse in Belgien und Frankreich.
228 Vgl. ANL J 70/6: Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft v. 4.Dezember 1912 an die
GendarmeriestationenEsch/Alz., Differdingen,Düdelingen, Rümelingen, Bettemburg,Niederker-
schen, Eich, Wasserbillig und Rodingen.
229 Vgl. ebda.: Antwort der Rümelinger Gendarmerie v. 8.Dezember 1912.
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