veranlassen, "daß auf ein Zusammenwirken der diesseitigen und der französischen Be¬
hörden und Beamten im Kampf gegen das Gesindel hingewirkt werden soll", führte einer
der Antragsteller während der Parlamentsdebatte aus.93 Die Furcht, die hochmobile
Arbeiterbevölkerung - denn dieser galt die Sorge - könne außer Kontrolle geraten, ließ
sogar an eine polizeiliche Zusammenarbeit mit dem verfeindeten Nachbarn denken, um
eventueller sozialer Revolten in der Grenzregion Herr zu werden. Die nationale
Bedrohung von innen konnte sogar den äußeren Gegner zum Verbündeten werden lassen.
Der anwesende Unterstaatssekretär Mandel kommentierte die Initiative zustimmend mit
den Worten: "Es ist ganz richtig, daß die sicherheitlichen Zustände in dem Industriege¬
biete gefährdet sind durch alle möglichen katilinarischen Existenzen in der fluktuierenden
Arbeiterbevölkerung." Der Antrag wurde daraufhin mehrheitlich angenommen.94
Zu den zitierten "katilinarischen Existenzen" rechneten die Behörden wohl in erster Linie
auch die italienischen Gastarbeiter. Die Italiener befanden sich als einzige Landsmann¬
schaft innerhalb des Arbeiterstandes des Untersuchungsraumes in einer ausgegrenzten
Position. Ihre Kultur und Sprache sowie ihr Habitus als Saisonarbeiter, die häufig in
Gruppen auftraten und schnell wieder verschwanden, mutete die Zeitgenossen ausge¬
sprochen fremd an, so daß die Südländer in gewisser Weise ein Nimbus der Obskurität
umgab, woraus eine Reihe von Vorurteilen erwuchsen, nach denen z.B. die Italiener, wie
bereits zitiert, ein besonders ausschweifendes Sexualleben führten. Folglich waren die
Italiener in der trinationalen Industriezone die einzige Gemeinschaft von Wanderarbeitern,
gegen die bekanntermaßen pogromartige Unruhen losbrachen. Für das Jahr 1894 sind
in Frankreich infolge der Gewalttat eines Italieners anti-italienische Ressentiments,
welche auf einer breiten Basis standen, bezeugt.95 Und in Luxemburg braute sich, wie
den dortigen Polizeiakten zu entnehmen ist, im Jahre 1897 in den Reihen der ein¬
heimischen Bevölkerung ein explosives Gewaltpotential gegen die italienischen Arbeiter¬
kollegen zusammen, nachdem sich in Differdingen einer ihrer Landsleute des Mordes
schuldig gemacht hatte.96 Nach der Mordtat begannen Luxemburger anscheinend
italienische Staatsbürger in der Öffentlichkeit anzufeinden. Die Ortspolizei sprach anfangs
zwar nur von "Neckereien", negierte ernsthafte Auseinandersetzungen und hielt Gerüchte
über zu Pfingsten geplante Aktionen gegen die Italiener im bassin minier für "nicht
93 Vgl. ebda.: Sitzungsprotokoll der XXXTV. Session, 20. Sitzung des Landesausschusses v. 2.Mai
1907.
94 Dito.
K Vgl. Kapitel D, S.173ff.
96 Vgl. auch im folgenden ANL J 76/64.
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