wehrpflichtiger Männer zu unterbinden. Einwanderungen erfolgten nur in sehr kleinem
Maßstab.86
Mit der Industrialisierung änderten sich die Verhältnisse fundamental. Gerade Aus¬
wanderungen aus dem frisch erworbenen Reichsland wurden wegen des industriellen und
folglich landwirtschaftlichen Arbeitskräftebedarfs nicht gern gesehen, zumal das Land
nicht unbedeutende Optionsverluste zu verkraften hatte. Besorgt stellte man im Jahre
1893 fest: "Frankreich kann, da seine Bevölkerung sich nicht in genügender Weise
vermehrt, den Zuzug aus dem Auslande nicht mehr entbehren, den besonders die
Grenzländer stellen." Im Sinne der Staatsverwaltung war es darum sehr erfreulich, daß
wenigstens "der Verlust an der Bevölkerung, welchen Elsaß-Lothringen durch diese Aus¬
wanderung [nach Frankreich] unausgesetzt erfährt, (...) ausgeglichen [wird] durch
fortwährenden Zuzug aus Altdeutschland".87
Nach der Jahrhundertwende arbeitete man aus arbeitsmarktpolitischen Gründen auch im
Regierungsbezirk Trier der Auswanderung von Arbeitern entgegen. Regierungsstellen
setzten die Bezirksverwaltung in Kenntnis über die Aktivitäten von Werbern, welchen
man Einhalt zu gebieten beabsichtigte. Im Jahre 1908 informierte der deutsche Konsul
in Montreal (Kanada) den Reichskanzler über Agenten der Dominion Coal Company,
welche unter saarländischen Bergleuten mit falschen Lohnversprechungen Anwerbungs-
Versuche unternahmen, und der Vorsitzende des Deutschen Schillervereins zu Brüssel
warnte zugleich eindringlich vor einer Auswanderung in Richtung Belgien, weil die Lage
der bereits massenhaft ausgewanderten Deutschen dort katastrophal sei.88 Diese Informa¬
tionspolitik diente dazu, dem Abgang von Arbeitern im großen Stile entgegenzuwirken.
Unter diesem Gesichtspunkt ersuchte das preußische Innen- im Verein mit dem
Handelsministerium im Folgejahr den Trierer Regierungspräsidenten, "daß der Auswan¬
derung Deutscher zu dem bezeichneten Bahnbau [am Madeira-Mamore-Projekt in
Brasilien] angesichts der sehr ungünstigen klimatischen Verhältnisse und Arbeits¬
bedingungen nachdrücklich entgegengearbeitet wird".89 In vorausschauender Perspektive
86 Dito. Vgl. außerdem zur überseeischen Auswanderung aus dem Saarraum: Mergen, Aus¬
wanderung aus den ehemals preußischen Teilen des Saarlandes; ders., Umfang und Gründe der
Amerika-Auswanderung.
87 Vgl. Die Bewegung der Bevölkerung in Elsaß-Lothringen, hg. vom Statistischen Bureau des
Kaiserlichen Ministeriums für Elsaß-Lothringen, (^Statistische Mitteilungen XXIII), Straßburg
1893, S.XXD-XXVII sowie ADM 3 AL 401.
88 Vgl. LHA Ko 442/9694: Reichskanzler Bülow an das OPKo mit einem Schreiben des deutschen
Konsuls Franksen in Montreal v. 12 August 1908 und Schreiben des Vorsitzenden des Deutschen
Schillervereins zu Brüssel an den deutschen Generalkonsul v. 5.September 1908.
85 Vgl. LHA Ko 442/9693: Schreiben des preußischen Innen- sowie des Handels- und Gewerbe¬
ministeriums ("Eilt! Vertraulich!") an das RPTr v. 30.Dezember 1909.
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