Full text: Die monastische Schriftkultur der Saargegend im Mittelalter (20)

gelegenheiten, teils politisch brisante Vorgänge näher beleuchten. Eine statistische Auf¬ 
schlüsselung veranschaulicht, wie die Briefe an Remigius in der intensiven Austausch¬ 
phase des Jahres 988 einsetzen, als sich Adalbero und Gerbert angesichts der bürger¬ 
kriegsähnlichen Zustände im Land um das Wohlwollen des Trierer Erzbischofs be¬ 
mühen.19 Gerbert selbst weilt im Juni-Juli 989 in Trier. Ist in den ersten drei Schreiben an 
Remigius ein herablassender Tonfall nicht zu verkennen (ganz so, wie ihn sich der aner¬ 
kannte Gelehrte seinem ehemaligen Schüler gegenüber erlauben würde), so bemüht sich 
Gerbert seit Eierbst 989 sichtlich um die Freundschaft des Trierer Mönchs. Die Einschät¬ 
zung, es habe sich um ein „easy, friendly relationship for many years“ gehandelt, in dem 
Gerbert die Achilleis-Abschrift „in a playful mood“ erbeten habe,20 vermag ich nicht zu 
teilen. Mir erscheint die These von Marx, dem Altmeister der Trierer Historiographie, 
plausibler, Remigius sei — ähnlich wie Gerbert — „Sekretär“ seines Erzbischofs gewesen, 
für den er nach dem Zeugnis der Miracula literarisch tätig war.21 22 Für Gerbert war es folg¬ 
lich ein Gebot politischer Klugheit, den Kontakt zu Remigius aufrechtzuerhalten. Dessen 
hartnäckig verfochtenes Interesse an der Sphäre, die mathematische - oder vielmehr aba- 
zistische - Anfrage und die Bitte um medizinische Hilfestellung machen - zusammen mit 
den nachgewiesenen Kontakten Mettlachs zu der Reimser Domschule — die Identität mit 
dem späteren Mettlacher Abt sehr wahrscheinlich. 
Für seine Ausbildung in Reims, die entweder auf 971-981 (der ersten, intensivsten Phase 
von Gerberts Lehrtätigkeit) oder auf 983-988 anzusetzen ist, möchte ich einen auf den er¬ 
sten Blick überraschenden Gewährsmann anführen. Der normannische Chronist Orde- 
ricus Vitalis (1075-1143) geht in seiner Kirchengeschichte auch kurz auf den Schulbetrieb 
unter Gerbert ein. Zu dessen famosos et sublimes discipulos zählt er den Remigium 
praesulem Autissiodorensium,11 worunter man den um 908 verstorbenen Remigius von 
Auxerre zu verstehen hat. Die Genese dieser krassen Fehleinordnung liegt in Reims selbst 
begründet. Der (wahrscheinliche) Lehrer des Ordericus an der Klosterschule von Saint- 
Evroul war Johannes von Reims, der bis 1075 einer der begabtesten Schüler des in Reims 
lehrenden Bruno von Köln war. Ordericus hat dann 1119 am Konzil von Reims persön¬ 
lich teilgenommen.23 Die mündliche Tradierung durch Johannes, der sicher mit einigem 
Stolz von dem berühmten Gerbert gesprochen hat, würde die Verwechslung der beiden 
Remigii verständlich machen; Faktum aber bleibt die Einstufung eines Remigius zu den 
bekannten Schülern Gerberts — auch wenn die dann genannten Werke in Wirklichkeit 
eben dem Heiric-Schüler Remigius von Auxerre angehörten. 
19 Verteilung der Reimser Schreiben an Erzbischof Egbert während der Jahre 983-990 (danach 
Lücke in der Überlieferung der Gerbert-Briefe, die erst 996 wieder breit einsetzt): 983 lx; 984 2x; 
985 4x; 986 lx; 987 4x; 988 8x; 989 3x; 990 2x 
20 Lutz, Schoolmasters, S. 141 
21 Marx, Erzstift Trier III, S. 398 
22 Orderici Vitalis Ecclesiasticae Historiae I, S. 174 
23 Wolters, Ordericus Vitalis, S. 57-64; die neuere Studie von M.Chibnall, The world of Orderic Vi¬ 
talis, Oxford 1984, ist für die Fragestellung unergiebig. 
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