oder maximal 20 Watt gleichzeitig erwartet wurden. Nach 20 Jahren sollten als Höchst¬
wert pro Person im Versorgungsgebiet rund 45 Watt (gesamter Anschlußwert pro
Kopf 110 kW) erreicht werden, was einer durchschnittlichen Steigerung von 8 % pro
Jahr entsprach. Diese Werte wurden nach dem Ersten Weltkrieg weit übertroffen.
Die aufgezeigte Entwicklung verdeutlicht, daß sich die Voraussetzungen einer einheit¬
lichen Elektrizitätsversorgung an der Saar, aufgebaut auf einer gut durchmischten Ab¬
nehmerstruktur, im Laufe der Jahre nach der Jahrhundertwende drastisch verschlech¬
tert hatten. Der spätere Reichsbankpräsident und Wirtschaftminister des Deutschen
Reiches, Hjalmar Schacht, sah denn auch das Saarrevier als Musterbeispiel für seine
These des Gegensatzes von elektrotechnischer Produktion und der Verwendung elek¬
trischer Energie an. Während erstere auf höchster Stufe stünde, herrschten bei der
Stromerzeugung und -Verteilung Zersplitterung sowie ein Durch- und Gegeneinander.
Aus diesem Grunde begrüßte er ausdrücklich „das tatkräftige Vorgehen“ der Königli¬
chen Bergwerksdirektion Saarbrücken und forderte weitgehende staatliche Eingriffe
in die Elektrizitätswirtschaft251. Für den Bereich der Erzeugung elektrischer Energie
ist Schacht sicher zuzustimmen; die unwirtschaftliche Stromproduktion in Klein- und
Kleinstkraftwerken war sehr verbesserungswürdig. Auf dem Gebiet der Verteilung
war die Bergwerksverwaltung allerdings in ihrer eigenen bürokratischen Schwerfällig¬
keit gefesselt. Beamtengesetze, Disziplinär- und allgemeine staatliche Dienstordnun¬
gen waren für die Ausübung der staatlichen Hoheitsverwaltung geschaffen worden,
nicht aber zur Führung eines Wirtschaftsbetriebes. Das strenge preußische Etatrecht
entbehrte der für eine effektive Unternehmensleitung notwendigen Beweglichkeit.
Die bürokratische Trägheit ihrer Arbeitsweise sahen auch die preußischen Beamten
selbst ein, weshalb sie die Weiterverteilung über die Abgabestation hinaus ablehnten.
Der Fiskus fühlte sich aber erst nach langwierigen Verhandlungen dazu veranlaßt, bei
der Stromverteilung die Erfahrungen eines auf diesem Gebiet lange tätigen Unterneh¬
mens zu nutzen. Dieser Schritt erfolgte jedoch fast schon zu spät für den Aufbau einer
regionalen Elektrizitätsversorgung, denn die unwirtschaftliche Zersplitterung hatte
bereits einen hohen Grad erreicht (vgl. Kap. II.).
f) Die Bedeutung elektrischer Bahnen für die Stromversorgung
1881, zwei Jahre nach Vorstellung der ersten elektrischen Lokomotive durch Werner
Siemens auf der Gewerbeausstellung in Berlin wurde die erste elektrische Straßenbahn
der Welt zwischen dem Berliner Vorortbahnhof Lichterfelde und einer 2,5 km entfern¬
ten Kadettenanstalt eröffnet252. Zahlreiche Bahnlinien sollten vor allem ab den 90er
Jahren des letzten Jahrhunderts folgen, denn die Leistungsfähigkeit der elektrischen
Züge erwies sich gegenüber bisherigen Pferde- und Dampfbahnen als deutlich überle¬
251 Schacht (1908), S. 84ff., vor allem S. lllff.
252 Mueller, Herbert F. (1967), S. 141; vgl. zu Berlin ausführlich Buchmann (1910); zur
Entwicklung und Konzipierung von Straßenbahnen in technischer und wirtschaftlicher
Hinsicht existiert eine Fülle zeitgenössischer Literatur vgl. (Auswahl) Schiemann
(1895), Boshart (1911); T rautvetter (1913), zur Entwicklung der Straßenbahnwagen
vgl. Bombe (1913), besonders S. 225ff.
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