Zur Überraschung aller Teilnehmer kündigte Reichswirtschaftsminister Hjalmar
Schacht außerhalb der vorgesehenen Tagesordnung das „Gesetz zur Förderung der
Energiewirtschaft“ an. Das Energiewirtschaftsgesetz war im Ministerium Schachts
konzipiert und mehrfach aufgrund verschiedener Gutachten und Interventionen be¬
troffener Interessengruppen abgeändert worden18. In diesem Gesetz wurden Forde¬
rungen und Meinungen berücksichtigt, die teilweise bereits Jahre vor der Machtergrei¬
fung 1933 aufgestellt bzw. geäußert worden waren19. Gemeinsamer Wille aller Betei¬
ligten war es, die Frage des Konzepts für eine staatliche Marktpolitik in der
Elektrizitätswirtschaft zu lösen, nachdem Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre die
Versorgungsgebiete weitgehend demarkiert waren20. Die Gegner des Energiewirt¬
schaftsgesetzes aus den Reihen der Kommunalunternehmen befürchteten vor allem,
daß sie bei einem Zusammenspiel von Reichswirtschaftsministerium, Generalbevoll¬
mächtigtem für die Energiewirtschaft, Reichsgruppe Energiewirtschaft und den gro¬
ßen Versorgungsunternehmen hoffnungslos unterlegen sein würden21. Diese Sorge
bestand sicher nicht zu Unrecht, denn bereits die deutsche Gemeindeordnung vom 30.
Januar 1935 hatte klar ausgesprochen, daß die Gemeinden wirtschaftliche Unterneh¬
mungen nicht errichten und erweitern sollten, wenn der Zweck des Unternehmens
besser oder wirtschaftlicher durch einen Dritten erfüllt würde oder werden konnte22.
In ihrer Ablehnung gegen das Energiewirtschaftsgesetz verstiegen sich die Gemeinde¬
vertreter allerdings zu dem Vorwurf, das Gesetz entspräche nur unzureichend den na¬
tionalsozialistischen Vorstellungen und Ideen!
18 In einer Besprechung vom 23.05.1933 zwischen Vertretern der Elektrizitätswirtschaft, des
Reichswirtschaftsministeriums (RWM) und der NSDAP über die Zukunft der deutschen
Elektrizitätsversorgung war von Seiten ersterer die Konzessionspflicht der Errichtung und
Erweiterung von Elektrizitätswerken, die alleinige Zuständigkeit des RWM und eine Been¬
digung der Finanzierung von Gemeindehaushalten durch den Strompreis gefordert worden.
Die NSDAP-Vertreter verlangten in erster Linie eine Verbiliigung des Stromes für Kleinver¬
braucher sowie die Verteilung durch die öffentliche Hand (BA R 43 11/343, p. 43). Vgl. ebf.
Hobrecker (1936), S. 47ff.; Matzerath (1970), S. 392ff.; Melchinger (1967),
S. 185ff.; Gröner (1975), S. 32lff. (mit ausführlichen Literaturangaben) und Anm. 806,
S. 324f; aus dem Blickwinkel der Gemeindebetriebe, St r öl in (1935), S. 298f.; Lawaczek
(1936); zu letzterem Ludwig (1984), bes. S. 392ff. Das gespannte Verhältnis zwischen den
Vertretern der kommunalen Betriebe einerseits und der privaten sowie gemischtwirtschaft¬
lichen Unternehmungen auf der anderen Seite offenbarte sich auch in der tiefernsten Bewer¬
tung verschiedener Spottgedichte und scherzhafter Artikel des Fachheftes „Elektrohumor“,
das die Teilnehmer der Saarbrücker Tagung überreicht bekamen, durch die Schriftleitung
der Zeitschrift für öffentliche Wirtschaft, die sich offensichtlich verunglimpft fühlte, vgl.
ebd. 2 (1935), S. 337; dazu wiederum die Gegenreaktion in der Elektrizitätswirtschaft 34
(1935), S. 657. Spottverse der WEV-Bierzeitung wie „Der Apfelkuchen schmeckt nach Zwie¬
bel, die A-Gemeinde ist von Übel“ spielten selbst in die Auseinandersetzungen zwischen
RWM und Reichsminister des Innern (RMdl) um das Energiewirtschaftsgesetz hinein (vgl.
BAR 43 11/343, p. 116).
19 Vgl. Eiser/Riederer/Siedler (1961), Allgemeine Vorbemerkungen zum EnWG I,
S. 18; Heesemann (1964),S.63; Ludwig (1984), S. 436; zur Vorgeschichte Boll (1969),
S. 67ff.; Heilige (1986), S. 125f.
20 Gröner (1975), S. 322.
21 He 11 i ge (1986), S. 127f. In diese Auseinandersetzungen wurde aufgrund seiner Größe und
seines Einflusses vor allem das RWE miteinbezogen, vgl. diverse Schriften von Koepchen
(RWE) und verschiedenen kommunalen Kontrahenten (BA R 4/209a).
22 Die Rede von Hjalmar Schacht ist veröffentlicht in: EW 34 (1935), S. 622ff, hier S. 623.
Vgl. auch Friedrich (1936), S. 84.
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