Die Belastungen für die junge SVG allerdings wogen ungleich schwerer. Es war zwar
zu Beginn des Jahres 1919 noch die Abgabe elektrischen Stromes in Fürstenhausen auf¬
genommen, ferner auf Wunsch des Landkreises Saarbrücken mit der Gemeinde Auers¬
macher ein Konzessionsvertrag abgeschlossen und die Versorgung im selben Jahre be¬
gonnen worden. „Eine weitere Ausdehnung des Versorgungsgebietes mußten wir je¬
doch einstweilen zurückstellen, da sich der Einfluß der Änderung der politischen
Verhältnisse auf unser Unternehmen nicht übersehen läßt. Unsere Leitungsanlagen in
Lothringen stehen seit Anfang März 1919 unter Zwangsverwaltung“16. Im lothringi¬
schen Teil der SVG lagen rund 50 km von insgesamt etwa 80 km des gesamten Hoch¬
spannungsnetzes der Gesellschaft sowie die Ortsnetze von 11 Gemeinden mit rund 30
km Niederspannungsleitungen und 20 Transformatorenstationen17. Ein Vergleich
des Verhältnisses von Einwohnern und Abnehmern zeigt, daß die Anschlußentwick¬
lung im saarländischen gegenüber dem lothringischen Versorgungsteil weiter fortge¬
schritten war (vgl. Tab. 16). Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg deutete sich jen¬
seits der Grenze ein entsprechender Nachholbedarf an, den die SVG allerdings nicht
mehr befriedigen konnte. Der Sequesterverwaltung des lothringischen Netzes folgte
Anfang des Jahres 1920 die Liquidition18 unter M. Voisenat, dem Liquidateur der
SVG19. Vorausgegangen waren zahllose Bemühungen, das lothringische Netz noch zu
sichern. Im September 1919 hatte der oberste Militärverwalter, General Andlauer, den
Aufsichtsratsmitgliedern der SVG und dem Bürgermeister der Stadt Saarbrücken zu
verstehen gegeben, daß die französische Grubenverwaltung die noch mit der preußi¬
schen Bergwerksdirektion abgeschlossenen Stromlieferungsverträge und Lieferver¬
pflichtungen für Kohlen als dingliche Lasten der Grubenverwaltung ansähe, die nach
dem Friedensvertrag nicht von den MDF übernommen würden. Damit war der größte
Teil der Stromlieferungen an die SVG seiner vertraglichen Grundlagen enthoben;
zudem schloß General Andlauer jegliche neue Stromlieferungsverträge zwischen den
MDF und der SVG sowie der Stadt Saarbrücken für den Zeitraum aus, solange noch
Berliner Kapital an der SVG beteiligt sei20.
Anfang 1920 führten Bürgermeister Klein für die Stadt Saarbrücken — Oberbürger¬
meister Mangold war des Saargebiets verwiesen worden — und Direktor Tormin von
der SVG in Paris Verhandlungen mit der Militärregierung, der Grubenverwaltung
sowie Vertretern des französischen Schwerindustrieunternehmens Schneider-Creusot
und der französischen Tochterfirma des US-Elektrokonzerns General Electric über
eine Beteiligung letzterer Firmen an der SVG. Die Pariser Unternehmen hatten den
Plan, auf der Saarkohle ein gewaltiges Energiezentrum zur Versorgung der nordfranzö¬
sischen Industriegebiete mit elektrischem Strom aufzubauen21. Zusätzlich war vorge¬
sehen, auf dem Canal des Houillères de la Sarre (Saarkohlenkanal), der von der Staats-
16 VSE-AHV, Geschäftsbericht für 1919.
17 StadtA Sbr. BG 7141, 23.05.1921.
18 Ebd.; zur Sequesterverwaltung und Liquidation von deutschem Vermögen in Elsaß-
Lothringen vgl. Emmrich (1931), S. 62ff.
19 StadtA Sbr. BG 2609,13.10.1920; Voisenat war „Liquidateur des Biens Allemands en Alsace-
Lorraine“ mit Sitz zunächst in Haguenau, später in Dijon (AD Moselle 10 S 236, Dijon
17./29.12.1921).
20 StadtA Sbr. BG 2630, 03.04.1924.
21 Ebd.
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