Die Regierungskommission hatte alle Befugnisse, die früher dem Deutschen Reich,
Bayern und Preußen zustanden. Nach 15 Jahren sollte die Bevölkerung sich in einer
Volksabstimmung entweder für den Status quo, d. h. die Völkerbundsverwaltung, für
eine Rückkehr zu Deutschland oder aber für einen Anschluß an Frankreich entschei¬
den. Das Saargebiet wurde dem französischen Zollsystem angegliedert, jedoch blieb für
eine fünfjährige Übergangszeit (1920-1925) der zollfreie Warenaustausch mit Deutsch¬
land möglich9.
Grundlegende Veränderungen brachten die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges für
eine Reihe von Jahren auch in den Unternehmens- und Kapitalverflechtungen10.
Während vom Saarrevier vor dem Ersten Weltkrieg wirtschaftliche Expansionskräfte
ausgingen, die enge Verbindungen mit den benachbarten Regionen, besonders mit
Lothringen, dem Oberrhein, aber auch mit dem Ruhrgebiet nach sich zogen, verlor
es nach 1919/20 alle Beteiligungen, Betriebsstätten und Niederlassungen in Elsaß-
Lothringen und im übrigen Frankreich. Eine Verlagerung der wirtschaftlichen Interes¬
sen nach Deutschland gelang nicht immer, hemmend wirkte sich vor allem die drohen¬
de Zollabschnürung vom Deutschen Reich aus. Aufbauend auf der Flerrschaft über die
Saarkohle und über die lothringische Erzbasis gelang es dagegen französischen Wirt¬
schaftskreisen unter massivem Druck eines durch die MDF angedrohten Lieferstopps
von Kohle, nach und nach bei angestammten Firmen des Saarreviers kapitalmäßig Fuß
zu fassen. Diese sogenannte finanzielle Überfremdung betraf bis auf Röchling alle nam¬
haften Unternehmen der Eisen- und Stahlbranche, darüber hinaus auch mittlere Betrie¬
be der Kalk- und Zementgewinnung, der Glasherstellung und nicht zuletzt der Ener¬
gieversorgung11.
Nach außen sichtbar wurden die veränderten politischen Verhältnisse für die Bevölke¬
rung zunächst durch den Einmarsch französischer Truppen und die Besetzung des
Saargebiets ab dem 22. November 1918. General Joseph Andlauer wurde Chef der be¬
sonderen Militärverwaltung, die für die preußischen Landkreise Saarbrücken, Saar¬
louis, Ottweiler, Merzig und St. Wendel eingesetzt wurde12. Das Bekanntwerden der
im Friedensvertrag vorgesehenen Regelungen löste an der Saar heftige Proteste der Be¬
völkerung aus, die die Militärregierung mit fortgesetzten Ausweisungen beantwortete.
Die politische Stimmung wurde immer gespannter, verschlechterte sich zusehends und
eskalierte schließlich am 07. Oktober 1919 in einem Generalstreik mit erheblichen Tu¬
multen und Plünderungen13. Nach der Verhängung des Belagerungszustandes mit
weitreichenden Ausgangssperren und nachfolgenden Kriegsgerichtsprozessen gelang
zwar eine Beilegung des Streiks unter Vermittlung des Saarbrücker Landrates Karl v.
9 Vgl. Wiegand (1929); Barth (1924/25); Christmann (1924).
10 Vgl. Herr mann (1972), S. 66; Speyer (1922), Schleifenbaum (1927/28); Müller
(1922); Mertens (1924); Stamm (1923); Metzger (1926); Das deutsche Saargebiet
(1921), S. 155ff., Die wirtschaftliche Verflechtung der besetzten Gebiete (1923), S. 34ff.,
133ff.
11 Vgl. Latz (1985), S. llQff.; Keuth (1966), S. 115ff.; Das Saargebiet (1929); Korst (1926);
Lauer (1922); ders. (1925), S. 226ff.; Herly (1926); Savelkouls (1922); Rauecker
(1937); Hau (1937); Tuckermann (1922), S. 217ff.; Schneider (1952); Metzger
(1934).
12 Vgl. Herrmann (1972), S. 32f.
13 Vgl. LA Sbr. 564/148, S. 155, 159, 172, 178.
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