Full text: Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters

Der weitere Kontext belegt noch deutlicher, daß sich die, Vita S. Pauli' der Gallus¬ 
legende Walahfrids Strabo für die Modellierung ihres Helden bediente262: 
,Vita S. Galli'263 , Vita S. Pauli'264 
... pro virtutum et vitae meritis Hac virtutum gratiapollens amabatur 
amabatur ab omnibus, placuit uni- ab Omnibus, venerabantur universi, 
versis... placebat cunctis... 
Auf die Gallusvita kam der Verduner Autor wohl einmal durch die Ähnlichkeit der 
Situation: auch Gallus wandelte sich vom Anachoreten zum Coenobiten und wird 
zum Bischofsamt vorgeschlagen. Gerade an dieser Stelle ist der Tugendkatalog zu 
finden, welcher der Pauluslegende als lockeres Vorbild gedient hat. An dieser Stel¬ 
le wird auch von der Mitwirkung eines Bischofs von Verdun an der Bischofswahl 
des Gallus berichtet. Vielleicht war es zusätzlich dieses Detail, das den Mönch von 
St. Paul an der ,Vita S. Galli' interessierte. 
Den Tugendkatalog hat die spätestens in den ersten Jahren des Abtes Richard von 
St. Vanne (1004-1046) - vielleicht in St. Vanne - geschriebene Vita des Bischofs 
Madalveus, der in der Klosterkirche bestattet lag, ausgeschrieben und erweitert265. 
Daß die ,Vita Madalvei' die Nehmende ist und nicht die Gebende, beweisen die 
Variationen, die sie einführt. Einmal steigert sie die Adjektive, mit denen die ein¬ 
zelnen Tugenden dem Helden zugeordnet werden: 
solers —> mirabilis, sanctus —* praecipuus 
Und nachdem sie praecipuus bereits für die humilitas verbraucht hat, wird das in 
der Vorlage der caritas zugeordnete praecipuus durch diffusus ersetzt. Die bei Pau¬ 
lus in Handlung umgesetzte monastische oboedientia wird explizit gemacht, 
schließlich noch einige weitere Tugenden, darunter die auf einen Bischof zuge¬ 
schnittenen iustitia und fortitudo aus der Gruppe der Kardinaltugenden, zuge¬ 
setzt. Die , Vita Madalvei' hat ferner die Ausbildung des Paulus in den artes libera¬ 
les kopiert und kräftig ausgestaltet266. 
Am Tugendkatalog der, Vita Madalvei' wiederum orientierte sich die von Richard 
von St. Vanne selbst verfaßte ,Vita S. Chraudingi', die Legende des vorgeblich aus 
Tholey gekommenen Gründers des Klosters Beaulieu in den Argonnen westlich 
von Verdun267. 
Richard übernahm einige Kreationen der, Vita Madalvei' wörtlich, andere wurden 
variierend gesteigert. Schließlich fügte er dem Helden angemessene Mönchstugen¬ 
den hinzu268. Richard kannte auch die, Vita S. Pauli', denn er weiß, daß der spätere 
262 Vgl. o. S. 69 Anm. 246. 
263 Vita S. Galli, I, c.l ; MG SS rer. Mer. IV. 185. Gallus wird auch in der ,VitaS. Magnerici' 
des Eberwin, Abt von Tholey und St. Martin in Trier, neben Kolumban und Paulus als 
Heiliger des Vosagus genannt. Vgl. Haubrichs, Basenvillare 11 ff. 
264 Vita S. Pauli, c.5; AA SS Febr. II175 F. 
265 Dauphin, Richard 170; v.d. Straeten, Manuscrits 190 f. 
266 Vgl. Vita S. Pauli, c. 1 ; AA SS Febr. II 174 D. 
267 Vgl. dazu u. S. 98 ff. 
268 Für diese läßt sich z. B. der Tugendkatalog der, Vita S. Fursei' (AA SS Ian. II37) verglei¬ 
chen. Vgl. auch Delehaye, Légendes 24; Lotter, Methodisches 322 f. 
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