Full text: Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters (15)

Die Quellenanalyse zeigt, daß sowohl D als auch C für die Rekonstruktion der 
Tholey er Tradition der Abtslisten keinen Wert besitzen64. Ganz anders steht es 
mit der Liste (E1), die A. Calmet 1728 im dritten Band der ersten Auflage seiner 
,Histoire écclesiastique et civile de Lorraine' (S. CCI-CCIV) veröffentlichte. 
Calmet hat für E1 einige seiner Quellen selbst angegeben: so verweist er für die hi¬ 
storische Notiz, die er der Abtsliste vorausstellt, auf Jean Mabillons 1703 erschie¬ 
nene ,Annales ordinis S. Benedicti' (Bd. I, S. 321), die »Chronique de S. Benoît' 
(Bd. II, p. 94)65 und die , Annales' des Bruschius. Der Traditionskomplex, nach 
dem - wie oben dargestellt - Tholey als Gründung Dagoberts dargestellt wird, für 
die als erster Abt Vendelin berufen wird, der wiederum Paulus von Verdun an¬ 
zieht, welcher dann Grimo zum Nachfolger hat, wird flüssig und gleichsam kano¬ 
nisch geprägt wiedergegeben. Aber Calmet hat sich weiter umgesehen. 
Wie Brouwer hat ér den Verduner Historiker Wassebourg, den er gelegentlich kri¬ 
tisch zitiert, benutzt und aus ihm die Namen der angeblichen Abtbischöfe Gisloal- 
de, Gerebert und Armonius entnommen. Jedoch wird der letzte Name ausdrück¬ 
lich als urkundlich unverbürgt in die Abtsliste eingefügt. Die Abtsnamen -Augu¬ 
stin (651), Erard (673), Gerebert (689), Pierre (um 788) —die der Urkundenfälscher 
François de Rosières..., que Von soupçonne à bon droit d'avoir forgé ces Titres à 
plaisir, in seinen Titeln angab, führt er zwar auf, stellt jedoch fest, daß sie den an¬ 
ciens et vrais Catalogues de Tholey unbekannt seien. Aus der Verduner Vita des hl. 
Rodingus (Chraudingus, vgl. u. S. 98 Nr. 6), die er durch Vermittlung Wasse- 
bourgs66 oder Ménards67 oder aus einer ähnlichen Quelle kannte, fügte er die dort 
genannten Namen zweier Tholeyer Abte, die er in den alten Abtslisten unter 
64 Brouwer hat auch im Liber VII seiner 1670 gedruckten und ebenfalls von Masen korrigier¬ 
ten bzw. ergänzten »Annales Trevirenses' (S. 346 ff.) auf Tholey Bezug genommen. Sein 
Bericht enthält folgende Traditionselemente: 1) Die Legende von des hl. Wandalin 
Mönchsschaft in Tholey. 2) Paulus von Verdun, Trevericus Eremita, sei ebenfalls Mönch 
in Tholey gewesen. 3) Dagobert habe in seinen ersten Jahren das Kloster gegründet, Erz¬ 
bischof Modoald habe es dann unter Schutz genommen und das Klosterleben stabilisiert. 
Diese Umstände hält Brouwer für gesichert: cumprivatis ejus loci documentis, tum publicis 
etiam literis, quae B. Pauli resgestas continent, demonstraripotest. Seine Quellen sind also 
sowohl spezielle Urkunden des Klosters Tholey als auch die ,Vita S. Pauli'. Dagegen 
bringt er den nach Wassebourgs , Antiquitez' angeblich aus Tholey nach Verdun gekom¬ 
menen Bischöfen ein erhebliches Mißtrauen entgegen: Neque prohiberi Virdunensium 
Episcoporum commentario volumus, quö minus antiquam et receptam a coenobitis opinio- 
nem, testimoniis destituti praesertim aliis, amplectamur. 4) Unter den Tholeyer Schülern 
des Paulus - dies alles nach der, Vita S. Pauli' - habe sich auch Grimo qui et Adalgisilus be¬ 
funden, der sich durch Schenkungen an das Kloster, latifundiis et circumiacentibus agris 
additis, ausgezeichnet habe. 5) Nach der Wahl des Paulus zum Bischof von Verdun wird 
Grimo Abt in Tholey. 6) Paulus habe einen Briefwechsel mit Bischof Desiderius von Ca- 
hors geführt (vgl. u. S. 61). 7) Neben Paulus hätten sich im Vosagus die Eremiten Ban- 
to, Beatus und Disibodo aufgehalten. Neben für uns nicht mehr zu fassenden Tholeyer 
Traditionen hat Brouwer vor allem die ,Vita S. Pauli' benutzt, daneben aber auch - wie er 
selber angibt - Berthars ,Gesta episcoporum Virdunensium', eine Wendalinus-Legende, 
Sigibert von Gembloux und Schriften des Trithemius. Vgl. zur Überlieferung der Anna¬ 
les Trevirenses' Knaus, Urhandschrift, passim; Tiefenbach, Textzeuge 272 f. 275. 280. 
65 Antoine d’Yepes, Chroniques générales de l’ordre de S. Benoît, Frz. Übers, v. Dom Mar¬ 
tin Rethelois, 7Bde., 1646-1684. 
66 Wassebourg, Antiquitez, F. CXIIF. 
67 Ménard, Martyrologium 690-695. 
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