gegenüber Mitläufern und Minderbelasteten eingeleitet worden130. Die zeitlichen Verzö¬
gerungen in der Entnazifizierungsfrage im Bereich der französischen Besatzungszone und
im Saarland könnten zu dem Schluß verleiten, daß hier eine schärfere Gangart einge¬
schlagen worden wäre. Dies war aber sowohl im allgemeinen als auch im Hinblick auf die
Lehrerschaft nicht der Fall. Die gesamte französische Militäradministration behandelte
nämlich die Angelegenheiten der politischen Säuberung von Anfang an mit mehr Zurück¬
haltung als z. B. die eifrig, streng und perfektionistisch agierenden Amerikaner. Die Fran¬
zosen neigten mehr oder weniger zu einer pragmatisch-opportunistischen Grundhaltung,
d. h., sie verquickten die Entnazifizierung immer wieder mit den globalen Zielen ihrer Be¬
satzungspolitik in Deutschland, also der eigenen nationalen Sicherheit und Wiedergutma¬
chung. Aus diesem Grunde stand bei ihnen die Entnazifizierung oft unter dem Eindruck
des Zufälligen und Unberechenbaren. Zudem zeigten sich französische Stellen, nicht zu¬
letzt aufgrund von Säuberungserfahrungen im eigenen Lande131, gegenüber Verurtei¬
lungen mit politisch-moralischen Hintergründen wesentlich reservierter als Amerikaner
und Briten132. Folglich haben sie, und dies ist für die folgenden Ausführungen über die
Entnazifizierung der Lehrer an der Saar wesentlich, die politische Säuberung der Lehrer¬
schaft nur bedingt in ihrer Verbindung zu einem Akt der rééducation im Interesse einer
demokratischen, rechtsstaatlichen und humanen Gestaltung von Staat und Gesellschaft
in Deutschland bewertet133. Sowohl im Saarland als auch in der französischen Besat¬
zungszone sind darum auch niemals solche extremen Entlassungsaktionen innerhalb der
Lehrerschaft vorgekommen wie in der amerikanischen Besatzungszone, wo schon im
Jahre 1945 65 % aller Volksschullehrer im Zuge der ersten Entnazifizierungswelle vom
Dienst suspendiert wurden134, ein Wert, der sich dann im Jahre 1946 in „manchen Be¬
zirken“ Bayerns sogar auf 80 und 90 Prozentpunkte erhöhte135.
6.2 Saarländische Besonderheiten
Obgleich das Saarland bis zum Februar 1946 offiziell der Gesetzgebungskompetenz des
Alliierten Kontrollrates unterworfen war, führte die Saarbrücker Militärregierung für
130 Wie Anm. 129 auf S. 86.
131 In diesem Zusammenhang sei ein Bericht der Berliner Zeitung vom 21. 2. 1947 erwähnt, in dem
eine Reihe führender Mitarbeiter der französischen Militärbehörden an der Saar beschuldigt
wurden, in der Zeit des Zweiten Weltkrieges mit den Deutschen kollaboriert zu haben oder als
Anhänger des Vichy-Regimes an verantwortlicher Stelle tätig gewesen zu sein. Namentlich er¬
wähnt wurden der Chef du Cabinet du Gouvernement, Viard, der Sous-Directeur Robinier, der
Leiter der Wirtschaftsabteilung, Bindchedler, der Chef de la Police spéciale du Gouvernement,
Randon, der Chef de la gendarmerie de Sarrebruck, Debressé, der Adjudant de camp du Gouver¬
nement, Bernard Lefranc, und schließlich sogar Marcel Brun, qui est chargé de Controller la dé¬
nazification dans la Sarre. Nach Telegramm der französischen Mission in Berlin an das franzöi-
sche Außenministerium vom 21. 2. 1947,12 Uhr. Ministère des Affaires Étrangères, Archives et
Documentation, Bestand Z Europe 1944 — 1949 juin. Sous-Direction de la Sarre au Quai
d’Orsay, Nr. 1.
132 Vgl. J. Fürstenau, S. 134.
133 Vgl. dazu die Ausführungen Bungenstabs über die Motive und Absichten der amerikanischen
Haltung. K. E. Bungenstab, S. 70 ff.
134 L. Niethammer, S. 186.
135 K* E. Bungenstab, S. 74. Vgl. hierzu auch die Gesamtzahl der automatisch Inhaftierten für
das Jahr 1947 bei J. Fürstenau, S. 44. Sie lauten: Britische Zone 64 500, Amerikanische Zone
92 250, Französische Zone dagegen nur 18 963. Zu berücksichtigen ist allerdings die unter¬
schiedliche Relation der Bevölkerungszahlen.
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