Full text: Bildungspolitik im Saarland

einschränkendes neuzeitliches Bildungswesen widersprach westeuropäischem, vor allem 
aber französischem Denken und französischer Tradition. In Frankreich befand sich das 
gesamte öffentliche Schulwesen seit der Schulgesetzgebung Jules Ferrys in den achtziger 
Jahren des vorigen Jahrhunderts unangetastet in der Aufsicht und Verwaltung des sich lai¬ 
zistisch verstehenden Staates; das kirchlich organisierte Bildungswesen war dort ein¬ 
deutig auf die privatrechtliche Ebene verwiesen worden138. 
Insbesondere in den Bestrebungen der französischen Besatzungsmacht, die konfessionelle 
Volksschule in staatlicher Trägerschaft zu beseitigen139, offenbarte sich, daß der Maßstab 
für den verfolgten inneren und äußeren Neuaufbau des Bildungswesens das eigene heimi¬ 
sche Bildungsleben war. Die gewollte Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses auf das 
Schulwesen dokumentiert sich zudem in den bis zum Jahre 1946 andauernden Versuchen 
einer Reform der Volksschullehrerbildung, die zwar vordergründig nach Inhalt und Form 
an deutsche Traditionen anknüpfen sollte, um, wie es hieß, künftigen Volksschullehrern 
die erforderliche pädagogische und demokratische Ausbildung zu geben140, in dem Be¬ 
streben aber, den Charakter der Lehrerbildungsanstalten simultan zu bestimmen, den¬ 
noch erkennen ließ, daß die am 8. Juli 1946141 verfügte Neuregelung durchaus einen 
Wandel zur eigenen, noch ganz im Geist des Republikanismus und Antiklerikalismus der 
Dritten Republik existierenden école normale offen ließ142. Damit zeigt sich auch hier, 
daß die Kultusadministration der französischen Militärregierung in ihren pädagogischen 
Zielsetzungen allzu gerne auf Vorstellungen zurückgriff, die den eigenen einheimischen 
138 Im’Schuljahr 1947/48 besuchten in Frankreich 4 266 636 Kinder die école laique (staatl. Volks¬ 
schule). Zum gleichen Zeitpunkt betrug die Schülerzahl der privaten katholischen Volksschulen 
1 100 000. Das entsprechende Zahlenverhältnis für den Sekundarschulbereich belief sich zum 
gleichen Zeitpunkt auf 427 008 zu 325 000; Techn. Anstalten: 200 000 zu 32 500; Hoch¬ 
schulen: 112 977 Hörer zu 24 500. Die Paritäten differierten in den verschiedenen Regionen 
Frankreichs z. T. sehr erheblich. Nach J. Ody, S. 228. Vgl. dort auch die Angaben über die 
Schulfinanzierung und über die Struktur und Ausbildung der Lehrerschaft. Siehe auch die detail¬ 
lierten Statistiken bei R. Poignant. 
139 Nach eingehenden Erörterungen und Aufklärungen hat General Schmittlein folgenden Ent¬ 
scheid getroffen: 
1. Die Konkordate bestehen de jure nicht, aber ihre Bestimmungen werden beachtet. 
2. Der Zustand konfessioneller Volksschulen (Bekenntnisschulen) wird wieder geschaffen nach 
dem Stand von vor 1933. 
Durchschlag eines Schreibens der Abteilung Kultus und Unterricht im Oberregierungspräsidium 
Hessen-Pfalz an die Abteilung Innere Verwaltung der französischen Militärregierung Hessen- 
Pfalz vom 13. 9. 1946. LA Speyer, Bestand H 12, Nr. 23. Vgl. dazu auch das Schreiben Laffons 
an die regionalen Militärgouverneure Rheinland-Pfalz, Baden, Württemberg und Saar - Nr. 
1486/DGAA/EDU—vom 5.2.1946. Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Bestand Be¬ 
vollmächtigter der französischen Zone, Bf 2. Ausführlich dazu A. Ruge-Schatz, Umerzie¬ 
hung, S. 93 ff. 
140 Allgemeine Anweisungen für die Errichtung besonderer Anstalten zur Heranbildung von Volks¬ 
schullehrern in der französischen Besatzungszone. Verfügt von der Direction de l’Éducation Pu¬ 
blique - Nr. 3204 DGAA/EDU vom 23. 7. 1946. LA Speyer, Bestand H 12, Nr. 22. 
141 Verfügung Nr. 71 vom 8. 7. 1946. Journal Officiel Nr. 29 vom 23. 7. 1946, S. 246. 
142 In Anwendung des Artikels 24 des Konkordats vom 27. (!) Juli 1933 werden Sonderinstitute ge¬ 
schaffen für diejenigen Schüler, welche die Lehrerbildungsanstalten absolviert haben (Hervorhe¬ 
bung im Quellentext) und welche die Absicht haben, an Konfessionsschulen zu unterrichten. 
Brozen-Favereau, Gouverneur der regionalen Militärregierung Hessen-Pfalz an den Oberpräsi¬ 
denten in Neustadt/Haardt vom 24. 8. 1946. LA Speyer, Bestand H 12, Nr. 22. Ähnliche Hin¬ 
weise finden sich im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Bevollmächtigter der fran¬ 
zösischen Zone, Bf 30. Vgl. auch H. J. Rechtmann und R. Winkeier, S. 21 ff. 
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