brücken ihre Chance, sich zur Metropole des Saargebietes zu erheben.49 Sie gewann nun
schnell die Integrationskraft einer Landeshauptstadt, weil die bis dahin wirksam geblie¬
benen sozialen und religiösen Schranken innerhalb der Saarbevölkerung an Wirkung ver¬
loren. An Kraft verlor insbesondere der traditionelle Gegensatz zwischen städtisch evan¬
gelischer und ländlich katholischer Bevölkerung. Freilich fiel der protestantischen Seite
die Anerkennung der Majorität des politischen Katholizismus innerhalb dieser neuen
Schicksalsgemeinschaft als Voraussetzung für diese Entwicklung nicht leicht50.
Gerade in der Zeit nach 1918, als sowohl die Frage nationaler Solidarität als auch die der
regionalen Findung gestellt war, wurden die geistigen Fundamente spürbar, die das Kul¬
turleben dieses Raumes trugen. An erster Stelle stand die noch unerschütterte Autorität
der Kirchen, sichtbar in der regen Anteilnahme am religiösen Leben. Diese Verbundenheit
hatte ihre entsprechende Rückwirkung in der Politik, da sich die überwiegende Zahl der
Saarländer, gleichgültig ob katholisch oder evangelisch, in ihrem Wollen und Flandeln an
den Lehren ihrer Kirchen orientierte51. Dies galt vor allem in Fragen der Bildungspolitik.
Eng verknüpft mit der zentralen Stellung der Kirche in der saarländischen Gesellschaft ist
eine besondere Art der heimatlichen Identifizierung, die allerdings in katholischen
Kreisen stärker entwickelt war als in evangelischen. Ihre Wurzeln finden sich unter an¬
derem in der hier anzutreffenden Verpflichtung, das öffentliche Leben im Sinne subsi¬
diärer Ordnungsprinzipien zu gestalten. Dieses Suchen nach einer Heimat unverwechsel¬
barer Prägung hat dazu geführt, daß das nationale Denken an der Saar auch in den Tagen
des Völkerbundregimes niemals in chauvinistische Haltungen abglitt.
3.3 Die Erfahrungen in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft
Die im Zeitraum von 1920 bis 1935 bewahrte geistige und politische Selbstbehauptung
der deutschen Bevölkerung im Saargebiet spiegelt sich im Abstimmungsergebnis vom 13.
Januar 1935 wider, als 90,76 % der gültig abgegebenen Stimmen für eine Rückgliederung
des Saargebietes an das inzwischen unter nationalsozialistischer Diktatur stehende
Deutschland ausgezählt wurden, ln welchem Maße die Saarbevölkerung sich der Ver¬
quickung der Grundfrage „Rückkehr zum Deutschen Reich“ mit der Frage nach einem
Für oder Gegen das nationalsozialistische Regime bewußt war, darüber kann man eigent¬
lich nur spekulieren. Allerdings gibt es einige Anhaltspunkte, die anzeigen, daß die über¬
wiegende Mehrheit der Saarländer ihre Entscheidung aus nationalpolitischen Motiven
traf und dem Nationalsozialismus innerlich fernblieb: die Bedeutungslosigkeit der Natio¬
nalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP) bis in das Jahr 193 3 52, die taktische Verschla¬
genheit der Nationalsozialisten, zu der sie sich gezwungen sahen, um an der Saar politisch
Einfluß zu gewinnen53, der nachgewiesene Einfluß kirchlicher Wahlempfehlungen auf das
Abstimmungsverhalten der Wahlberechtigten54, und schließlich auch die bemerkenswert
44 Zur Geschichte der Stadt Saarbrücken nach ihrer Einstufung als Großstadt im Jahre 1909 aus¬
führlich H. W. Herr mann, Gedanken.
50 Vgl. M. Zenner, Parteien, S. 322 f.
51 Vgi. hierzu E. Straus, Gliederung, passim.
M. Zenner, Parteien, S. 205.
53 H.-W. Herrmann und G. W. Sante, Saarland, S. 39.
54 Ebenda, S. 39.
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