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Im Sturm der Jahre 1951 bis 1955
1. Keine Ruhe an der Schulfront
Am Schluß des Hauptkapitels C wurde in einer Zwischenbilanz schon deutlich gemacht,
daß die saarländische Bildungspolitik nach den grundlegenden Entscheidungen der Nach¬
kriegszeit und der dynamischen aber auch sehr unsteten und provozierenden „Ära
Straus“ an sich in ein ruhigeres Fahrwasser einmündete. In diesem bildungsgeschichtli¬
chen Gang unterschied sich das Saarland im übrigen kaum von den Ländern in der Bun¬
desrepublik. Wenn sich die schulische Szenerie an der Saar in den Jahren von 1951 bis
1955 von der Entwicklung in der Bundesrepublik dennoch deutlich abhob, so wurde dies
vor allem durch den nun aufziehenden Konflikt um die Zukunft der Saar verursacht.
Durch ihn wurde die saarländische Bildungswelt unweigerlich in eine eskalierende Politi¬
sierung hineingezogen, ein Prozeß, der durchaus gewisse Parallelen zur deutschen Bil¬
dungsgeschichte der Jahre 1930 bis 1933 hat, als eine Wirtschafts- und Staatskrise eine
eingetretene bildungspolitische Lethargie verstärkte, gleichzeitig aber zu einer ungewöhn¬
lichen Politisierung des öffentlichen Bildungslebens führte1. Daß es an der Saar in diesem
Lebensbereich nach 1951 eine zwar anders motivierte aber ähnlich eigenartige Stim¬
mungslage gab, dies vermittelt uns der Bericht des wegen seiner autonomistischen Nei¬
gungen bekannten Senatspräsidenten Zarth an Straus vom 17. 2.1954. Dort heißt es, aus¬
gehend vom Vorwurf übertriebener bildungspolitischer Zurückhaltung an die Adresse
Hoffmanns u. a.:
Er will aber seine Ruhe haben. Er will auch seine Ruhe mit den Lehrern, mit den Lehrer¬
verbänden und auf allen Zuständigkeitsgebieten des Kultusministeriums haben. Das war
ja wohl auch der entscheidende Grund, daß er die Funktion des Kultusministers über¬
nahm2. Diese Einstellung bedeutet aber nicht nur Stillstand, sondern, das wissen Sie ganz
besonders gut, eine Ermutigung für all die, die dagegen sind. Es ist also sicher sehr wahr,
daß Sie sich blau und schwarz ärgern würden, wenn Sie hier wären und zwar deswegen,
weil Sie erkennen müßten, was zu tun ist und dabei verpflichtet wären, trotzdem nichts
zu tun. Als ob das Nichtstun Probleme lösen könnte, das Nichtstun vertagt nicht einmal
die Entscheidung über Probleme, sondern ist bereits eine Entscheidung3.
Was Zarth in seinem Report „Entscheidung“ nannte, bezog sich eindeutig auf das kom¬
mende Schicksal des Saarlandes und das war, wie bereits mehrmals erwähnt, seit etwa
1950 heftig umstritten. Die Genesis der Saarfrage und ihre Hintergründe sind in der Lite¬
ratur schon oft und breit abgehandelt und auch in dieser Arbeit immer wieder ange¬
schnitten worden, und da sich das hier behandelte Thema in diesen Rahmen letztlich nur
einfügt, sollen sie hier nur thesenhaft und zusammengefaßt aufgelistet werden:
1. Abgelaufen war die Zeit, in der Frankreich in der von ihm beanspruchten Rolle als
Mitsieger der alliierten Mächte seine Saarkonzeption im Geist eines fait accompli
durchsetzen konnte.
1 Vgl. hierzu J. Erger, S. 233 ff. und H. Küppers, Lehrerverband, S. 53 ff.
2 Nach dem Tod von Franz Singer am 22. 7. 1953, der das Kulturressort seit Dezember 1952 ge¬
leitet hatte, übernahm Hoffmann dieses Ministeramt.
3 Zarth an Straus vom 17. 2. 1954. Privatakten E. Straus.
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