Einen Ausgleich fand man auch in späteren Jahren nicht, und so wurde Weimar insgesamt
eine Zeit, in der sich der Katholizismus schulpolitisch zwar mühsam behaupten konnte,
kenntnismäßigen Struktur des Elementarschulwesens im Interesse einer geschlossen wir¬
kenden öffentlichen Bildung relativiert. Die Verfassungsurkunde aus dem Jahre 1850
folgte dieser Empfehlung, indem sie im Artikel 24 verkündete: Bei der Einrichtung der öf¬
fentlichen Volksschulen sind die konfessionellen Verhältnisse möglichst zu berücksich¬
tigen65. Die dort im Artikel 26 angekündigte gesetzliche Regelung des Unterrichtswesens
kam erst nach sechs parlamentarischen Anläufen im Jahre 1906 zustande. Das soge¬
nannte Volksschulunterhaltungsgesetz, das damals Rechtskraft erlangte, beendete ein
jahrzehntelanges Tauziehen, das im Kulturkampf seinen Höhepunkt erreicht hatte, mit
einem Kompromiß. Er bestand darin, das das Gesetz einerseits auf eine definitive Bestim¬
mung des konfessionellen Charakters der preußischen Volksschule verzichtete, anderer¬
seits aber die Bekenntnisschule, wo sie traditionell bestand, prinzipiell in ihrer Existenz
nicht mehr infrage stellte. Überbrückt werden konnte damit der weltanschaulich begrün¬
dete Anspruch des Liberalismus auf ein bildungsökonomisch effizientes, einheitlich-zen¬
tralistisches und im Grunde säkulares Schulleben und die Forderung des Katholizismus
nach einem ganzheitlichen Unterricht und (religiöse) Erziehung umfassendes Bildungssy¬
stem, das im Einklang stand mit dem religiösen Lebenswillen des katholischen Staatsbür¬
gers. Dennoch hat das Gesetz den schulpolitischen Argwohn der Katholiken niemals ganz
eliminieren können, denn es bedeutete nur „eine höchst unzureichende Sicherung der
staatlichen Volksschule als Konfessionsschule“65 66.
ln den ehemals bayerischen Teilen des Saarlandes war das konfessionelle Prinzip im
Volksschulbereich verfassungsrechtlich zwar stärker im Sinne katholischer Grundsätze
abgesichert, gleichwohl war auch die Bildungsgeschichte Bayerns nicht frei von Schul¬
kämpfen. So konnte dort ein Angriff auf die bekenntnisgebundene Volksschule, der in
Form eines liberalen Schulgesetzentwurfs mit Beginn der siebziger Jahre des vorigen Jahr¬
hunderts vorgetragen wurde, nur mühsam abgewehrt werden. Im Jahre 1873 wurde in
Bayern immerhin das Pfarrschulprinzip durch das Gemeindeschulprinzip ersetzt und die
Simultanschule auf Antrag unter allerdings erschwerten Bedingungen rechtlich zuge¬
lassen.
In der Weimarer Zeit, als der Staat sogar ganz im Sinne des weltanschaulichen Libera¬
lismus verfassungsrechtlich für säkular erklärt worden war, und das Reich Kompetenzen
in der Gestaltung des öffentlichen Bildungswesens erhalten hatte, wurde die Schule, als
Einrichtung an der unmittelbaren Nahtstelle des Verhältnisses von Kirche und Staat ange¬
siedelt, zwangsläufig und reichsweit zum Stichwort für eine ideologisch motivierte und
leidenschaftlich geführte Auseinandersetzung, die Theodor Litt im Jahre 1926 in ihrer Ur¬
sache wie folgt sah:
„Daß die Schule des Staates und die religiösen Bekenntnisse nicht zu einer glatten, beide
Seiten befriedigenden Einigung kommen können, das ist nicht die Folge von verbohrtem
Eigensinn, Beschränktheit und Herrschsucht, sondern beruht auf einem Gegensatz, der in
den letzten Gründen unseres Daseins liegt“67.
65 Zitiert nach B. Michael und H. H. Schepp, Bd. 1, S. 300 (Dok. 29).
66 K. Bachem, Bd. 6, S. 282.
67 T. Litt, Religion und Kultur, Aufsatz in: Die Erziehung, 1926, S. 85. Zitiert nach J. Schröteler,
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