tätspolitik in einer Weise ausbauen, die einerseits immer noch französischen Interessen
zugute kam, andererseits aber auch eine größere Unabhängigkeit von Frankreich ver¬
sprach. Auf der Basis einer Erneuerung der Wittelsbacher Hausunion konnten so
Verträge zwischen Kurköln und Frankreich sowie Bayern und Frankreich vermittelt
werden, und bis zum Abschluß des österreichischen Erbfolgekrieges im Aachener
Frieden liefen auch noch pfälzische Versuche, eine erweiterte Liga zustande zu brin¬
gen, die ihrerseits Österreich zu einem Frieden zwingen sollte. Für die französische
Diplomatie war damit dieser rheinische Kurfürst zu einem „Gesandten im Reich“
geworden24, und das Modell des Rheinbundes von 1658 stand dieser französisch-pfäl¬
zischen Politik dabei noch einmal ausdrücklich vor Augen.
Der Friede von Aachen von 1748 setze auch dieser Politik ein Ende. Und vollends
das Renversement des Alliances ergab dann für die rheinischen Staaten eine völlig
neue Situation, in der die Belastung, unter der sie in ihrer Zwischenlage zwischen den
großen Mächten jahrzehntelang gelitten hatten, nunmehr durch eine Entspannung
abgelöst wurde.
Ich habe versucht, die französische Rheinpolitik zwischen 1648 und 1756 in den
Rahmen der allgemeinen europäischen und der französischen europäischen Politik zu
stellen und von hier aus zu erklären. Fassen wir die Ergebnisse noch einmal zusam¬
men.
Die französische europäische Politik verlief von 1648—1756 weitaus noch immer
auf der Linie des französisch-habsburgischen Antagonismus, aber dieser Antagonis¬
mus wurde zunehmend überlappt von dem Gegensatz zwischen Frankreich und Eng¬
land. 1715 schien es deswegen bereits schon zu einem Renversement des Alliances zu
kommen, aber in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts erfolgte noch einmal ein
kräftiger Rückfall in das alte System, bis dieses dann 1756 endgültig abgelöst wurde.
In diesem Rahmen ergaben sich für die französische Rheinpolitik im Laufe dieser
Periode drei Schwerpunkte: Kurmainz, Kurköln und Kurpfalz, allerdings mit unter¬
schiedlichen Zielen.
Gleichbleibend ist im allgemeinen ein strategisches Interesse aufgrund der besonde¬
ren Lage der rheinischen Territorien, und ein politisches Interesse aufgrund der Funk¬
tionen dieser Territorialherren innerhalb dieses Raumes wie auch in bezug auf das
Reich. Die Unterschiede im Vorgehen lassen sich grob so skizzieren. In der Phase der
Rheinbundpolitik überwog das Ziel, den Kaiser von Spanien zu trennen. Mit dem
Holländischen Krieg geriet der rheinische Raum mehr in das Zentrum einer kaiser¬
lich — französischen Auseinandersetzung und in den weiteren Rahmen des entstehen¬
den neuen Systems einer europäischen Opposition gegen Frankreich unter Führung
der Seemächte. Für die französische Rheinpolitik war die Konsequenz dieser neuen
Konstellation der Versuch, mit Mitteln der Macht einen unmittelbaren Zugriff auf
diese rheinischen Territorien zu erreichen und so eine möglichst direkte Verfügungs¬
gewalt über sie zu gewinnen. Sobald jedoch diese Machtmittel schwächer wurden,
lehnten sich diese Territorien immer mehr an die verbündeten Gegner Frankreichs an.
In den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts zeigten sich in bescheidenem Umfange
24 Journal et Mémoires du Marquis d’Argenson, publ. par J. B. Rathery, 9 Bände, Paris
1859—1867. IV, S. 393.
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