Werner Gembruch
Persönlichkeit und Werk Vaubans als „Ingénieur de France“
Vauban wurde 1633 in Saint-Léger-de-Foucherest — seit 1867 Saint-Léger-Vauban
- im Herzogtum Burgund als Nachkomme einer in bescheidenen Verhältnissen leben¬
den, erst wenige Jahrzehnte zuvor in den Adelsstand aufgestiegenen Familie geboren,
nach seinen Worten als le plus pauvre gentilhomme de la France1. Er wuchs auf in
einem engen bäuerlichen Milieu mit nur unzureichenden Möglichkeiten schulischer
und wissenschaftlicher Bildung, somit weitgehend darauf verwiesen, sich als Autodi-
kakt all das an mathematisch-technischen, ökonomischen, militärischen und politi¬
schen Kenntnissen anzueignen, was ihn befähigen sollte, sich als Soldat, Ingenieur,
Ökonom und Staatsmann einen großen Namen zu machen.
Erstaunlich ist, wie schnell er als junger Offizier die cartesianische Idee verstanden
hat, que tout se tient, se pénètre et se conditionne,2 und sich demgemäß bemühte,
seine beruflichen Pflichten im Blick auf das Allgemeininteresse zu verstehen und, was
ihm dazu unerläßlich schien, à joindre le savoir de l’homme de lettres à celui de
l’homme d’épée — eine von ihm später als regulatives Prinzip jeder Offizierausbildung
bezeichnete Forderung3.
Wie für Louvois, Bossuet und den König, um nur einige Männer seiner Generation
zu nennen, waren für ihn die Wirren der Fronde das seine Vorstellungen von einer
zweckmäßigen staatlichen und sozialen Ordnung am nachhaltigsten prägende Erleb¬
nis, zumal er selbst damals zunächst auf der Seite Condés gekämpft hatte und erst
1653, nach seiner Gefangennahme durch königliche Truppen, von Mazarin für die
Sache des Königs gewonnen worden war, von nun an für ihn eine feste Verpflichtung,
später aber doch problematisiert, und zwar erstmals eindeutig, wie sein Briefwechsel
mit dem Marquis de Puyzieulx erkennen läßt, in den Jahren der Diskussion um die
nach seiner Meinung mit einer vernünftigen, d. h. auf Annexionen im Bereich der
„bornes naturelles“ beschränkten Politik unvereinbare Annahme des spanischen Er¬
bes, die bei ihm Zweifel an der Geltung der für die Staatslehre im Frankreich Ludwigs
XIV. fundamentalen These von der Identität der Interessen von Staat und Dynastie, in
anderen Worten der Sentenz „L’Etat, c’est moi“ weckte, nachdrücklicher noch in den
letzten Monaten seines Lebens, als er sich vergeblich bemühte, den König für sein eine
Rationalisierung der Steuerverfassung und eine merkliche Entlastung des „menu
peuple“ intendierendes Projekt einer „Dime Royale“ zu gewinnen. Doch änderten
solche Zweifel, wie noch sein der „Dime“ beigegebener Plan einer das Organisations¬
schema der Armee annähernd kopierenden Reform der Verwaltungsorganisation
1 de Rochas d’Aiglun, Vauban. Sa Famille et ses Ecrits, ses Oisivetés. Analyse et Extraits,
Paris 1910, II, S. 65 (zit.: Vauban).
2 Alfred Rebelliau, Vauban, Paris o. J. (1962), S. 248.
3 Vauban I, S. 337.
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