Full text: Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt

kannt. Da das türkische Heer in seinem Sammelrayon bei Adrianopel von Wien unge¬ 
fähr 1 100 km Luftlinie entfernt lag, mußte die militärische Führung mit einem drei 
monatigen Aufmarsch rechnen. Es bedeutete bei rastlosem Marsch (!) eine tägliche 
Strecke von mehr als 12 km. Da aber die Zahl der zurückzulegenden Straßenkilometer 
weit höher als die obengenannte Entfernung in Luftlinie war, mußten die türkischen 
Einheiten der Donau- oder der Drau-Linie folgend mindestens eine tägliche 
Marschleistung von 15 km verwirklichen. Unter der Voraussetzung daß der große 
Aufmarsch sich reibungslos vollzog, hätte die Angriffsarmee eine 6—8wöchige Ope¬ 
rationszeit bis sie die Umgebung von Wien erreichte, benötigt20. Dies geschah aber in 
zwei Jahrhunderten nur zweimal (1529, 1683) — und auch in 1529 war die Ankunft 
schon verspätet (26. September). 
Bestimmt verzögerten die eigenen zu langen Versorgungslinien die türkischen 
Vormärsche, das Haupthindernis bildete aber der ungarische Verteidigungsgürtel. An 
der Donau 120 km und an der Drau 210 km weit von Wien, stießen die vorrückenden 
Truppen auf die Verteidigungslinie. Um ihre Verbindungslinien zu sichern, mußten sie 
einige größeren oder kleineren Festungen belagern oder erstürmen und beträchliche 
Einheiten zur Sicherung ihrer rückwärtigen Verbindungen zurücklassen. Durch die 
Belagerungen und den ununterbrochenen Kleinkrieg um die Nachschublinien wurde 
das aufmarschierende türkische Heer aufgehalten und zum Zeitverlust gezwungen. 
Inzwischen stellte man eine kaiserliche Armee zur Deckung von Wien auf, die aber 
meistens nur den Posten einer Beobachtungsarmee bezogen hat, mit dem Ziel den 
Rückzug der Türken abzuwarten. Wenn auch etwas schematisch dargestellt, so wur¬ 
den die Durchstoßversuche der aufmarschierten türkischen Heere fast immer vereitelt. 
Diese Aufreibungs- und Verzögerungstaktik hatte aber eine unvermeidliche Voraus¬ 
setzung, nämlich die unbedingt zähe Verteidigung der Festungen auch in hoffnungslo¬ 
ser Lage. Diese Forderung war nicht ausnahmslos erfüllt, größere Festungen wurden 
von spanischen, wallonischen und seltener deutschen Söldnern aufgegeben. Auch 
wurden einige kaiserliche Generäle wegen unbegründeter Übergabe der von ihnen 
befehligten Burgen zum Tode verurteilt und hingerichtet (H. Tasso, F. Hardegg, G. 
Paradeiser)21. In den mit aus dem Lande stammenden ungarischen oder kroatischen 
Soldaten besetzten Festungen wurde bis zum letzten Mann gekämpft. 
Die überlegene Beweglichkeit der ungarischen Husaren22 im sogenannten Frieden 
und der beharrliche Widerstand auch in kleineren Festungen in den großen Kriegszü¬ 
gen sicherten die Wirksamkeit und den Erfolg des Verteidigungsgürtels. Ohne die 
damit verbundenen enormen Verluste wieder anführen zu wollen, weisen wir auf die 
Tatsache hin, daß der Wert und die Charakteristik der Verteidigungslinie bei den 
Zeitgenossen allgemein bekannt und anerkannt war. In 1595, während des Fünfzehn¬ 
jährigen Krieges (1593—1608), wurde Erzherzog Matthias eine Denkschrift über die 
20 Geza Perjes, Az Oszmän Birodalom europai häboruinak katonai problemäi (dt. Zfg.). Had- 
törtenelmi Közlemeyek /Budapest/1966. S. 862—872. (Die militärischen Fragen der europä¬ 
ischen Kriege des osmanischen Reiches). 
21 H. Tasso wegen der Übergabe von Tata, 1543 — F. Hardegg wegen Györ, 1594 — G. Para¬ 
deiser wegen Kanizsa, 1600. 
22 Istvän N. Kiss, Die Rolle der Wirtschaft für Krieg und Kriegskunst in Ostmitteleuropa am 
Beispiel Ungarns im 17. Jahrhundert. In: Krieg, Militärausgaben und wirtschaftlicher Wandel. 
Ed. O. Pickl, Garz 1980. S. 47—56. 
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