schickten40, sich mancher unter Hinweis auf vorgebliche Privilegien bestimmten Lei¬
stungen zu entziehen verstand41 oder unter fragwürdigen Vorwänden sogar Abgaben
verweigert42. Daß derartige Vorteile in der Regel nur auf Kosten der anderen Bürgfer
und Beisassen errungen werden konnten, galt kaum als anstößig, da in der ständi¬
schen Gesellschaftsordnung Privilegien für die verschiedensten Sozialgruppen ohnehin
gang und gäbe waren und naoh einer sachbezogenen Begründung oft nicht gefragt
wurde. Deshalb erwiesen sich diese normalerweise nicht übermäßig schweren Lasten
für die uneingeschränkt zu Wach- und Schanzdienst sowie zur Stellung von Quartier
Verpflichteten, deren Anteil unter der Einwohnerschaft ständig sank, durch häufige
Wiederholung und Kumulierung als große Bürde. Klagen und Beschwerden blieben
selbstverständlich nicht aus, bei denen man gern die Zeit vor der Stadtbefestigung mit
den derzeitigen Beanspruchungen verglich und demnach die Vermehrung der Wachen
und Posten, den Unterhalt und die Unterbringung stehender Truppen, die Erhebung
von Quartiergeld und seine Steigerung bei Truppenvermehrungen, die Übergriffe und
Exzesse der Soldateska und die häufige Einquartierung von Schanzarbeitern kritisier¬
te43. Obwohl diese folgenreichen und beschwerlichen Neuerungen insgeheim mißbil¬
ligt wurden, die sich als Konsequenz aus der Fortifikation der Stadt, aus strukturalen
Veränderungen im Heerwesen und aus den gewandelten politischen Verhältnissen
ergeben hatten, wußten Bürgermeister und Rat jedoch, daß eine Rückkehr zur frühe¬
ren, vermeintlich besseren Zeit nicht möglich war, weshalb man sich bei Eingaben
durchweg mit Bitten um Erleichterungen begnügte. Bei den insbesondere belasteten
Bürgern und Beisassen herrschte dagegen eine ständige Unzufriedenheit, die vor allem
durch die zahlreichen Befreiungen gesteigert wurde, deren sich die ständisch oder
wirtschaftlich ohnehin Begünstigten erfreuten. So entzog sich die Geistlichkeit ge¬
wöhnlich dem „bürgerlichen Mitleiden“, pochten die in der Stadt lebenden Adeligen
auf ihre Standesvorrechte oder beriefen sich auf fürstliche Gnadenerweise, und bean¬
spruchte und erhielt die wachsende Schar der Hof- und Staatsbediensteten, die vom
Geheimrat bis zum Kanzleiboten reichte, auch das Militär und selbst Hofhandwerker
einschloß, in abgestufter Weise ähnliche Vergünstigungen. An mühsamen Versuchen,
den quantitativ nicht exakt bestimmbaren und offenbar ausufernden Kreis der Privile¬
gierten zu reduzieren44 oder wenigstens deutlich abzugrenzen sowie die Ausweitung
der minder wichtigen Personalfreiheit zur umfassenden Realfreiheit zu verhindern, hat
es zwar nicht gefehlt, ohne daß aber ein befriedigendes Resultat erzielt werden konn¬
te. Zu diesem Mißerfolg trugen an erster Stelle die Landesherren bei, die immer wie¬
der Befreiung von Abgaben und Diensten gewährten und demnach eine Reglementie¬
41 StA Würzburg, Gebrechenamtsakten IV W 261, 3. 9. 1708; StadtA Würzburg Ratsbuch 72,
S. 230; Ratsbuch 253, S. 3, 6; StadtA Würzburg Ratsakten 174, 19. 3. 1661; Ratsakten
1775, 22. 6. 1775.
42 StadtA Würzburg, Ratsakten 174, 15. 7. 1659. In den 20er Jahren des 18. Jhs. lehnte es z. B.
die Universität ab, für ihre mehr als 400 Grundholden Schanzgeld zu bezahlen; StA Würz¬
burg, Rechnungen 31409, fol. 102.
43 StadtA Würzburg, Ratsakten 1780, undatiert.
44 In einem undatierten, vermutlich um die Wende vom 17. zum 18. Jh. verfaßten Memoriale
über das Quartiergeld wird die Zahl der Eximierten mit mehr als 600 beziffert. Vergleicht
man damit die Angaben aus der Volkszählung für die Stadt Würzburg von 1701, die 1201
Bürger und 605 Beisassen erfaßt hat, so läßt sich aus diesem Ansatz wenigstens grob das
Verhältnis zwischen den Privilegierten und Nichtprivilegierten für diese Last abschätzen.
StadtA Würzburg, Ratsakten 1780; Korherr, S. 21.
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