Universalismus aufgehobene Spaltung zwischen Architekten- und Ingenieurberuf im
Zeitalter eines Lionardo auch auf späterliegende Situationen auszuweiten? Viele sahen
eine Wiedervereinigung der beiden Tätigkeitsbereiche erst bei Eintritt des Eisenbetons
gegeben — Gropius hat sich übrigens gegen diese Verschmelzung zeitlebens gewehrt8.
Noch J. R. Haie fragt in seinem neuen Buch über die Festungsstadt im Untertitel Art
or Engineering?9 Mit anderen Worten — waren die für ihre Zeit tonangebenden
Baumeister voll auch als Ingenieure tätig und verstanden sie sich so? Unter solchen
Prämissen war man schon immer zu Zugeständnissen im bejahenden Sinne bereit
gewesen.
Aber ist es nicht so, daß — Adorno zufolge —10 eine Mathematisierung im künstle¬
rischen Gestalten mit Entqualifizierung gleichgesetzt worden ist, „gegen die man sich
auflehnt“? Adorno spricht weiter in seinen Ausführungen zur Kunst, daß dieses Mu¬
ster „ ... von den Naturwissenschaften aus sie projiziert (wurde), um für den Verlust
vorgegebener Strukturen zu entschädigen“. Nur unter dieser Voraussetzung war man
reif für das Zugeständnis, mathematische Steuerung auch im künstlerischen Prozeß
gelten zu lassen. Hand in Hand damit gehen intensive Anstrengungen zur Erforschung
der technischen Apparate und Baumaschinen, um die Frage nach der Entstehung der
„Machart“ des Kunstwerks besser beantworten zu können11.
Endgültige fachliche Anerkennung erhielten die Festungen erst durch Band 7 des
vom Comité International d’histoire de l’art initiierten Glossarium Artis unter Her¬
ausgeberschaft maßgeblicher Kunsthistoriker und der Mitarbeit hervorragender
Kenner des Gebiets12. Es scheint als hätten — neben den praktischen Forderungen der
Denkmalpflege nach wissenschaftlichen Handhaben zur Entscheidung zahlreicher
dringender Fälle — neue Impulse wertfreien Forschens die Oberhand gewonnen. Die
Festlegung der Terminologie gehört neben einer ersten Sichtung des Bestandes zu den
frühesten Maßnahmen einer arbeitsgerechten Erfassung. Somit stehen wir noch in
einem Anfangsstadium, auf das die Erschließung der Quellen, die Rekonstruktion der
Denkmäler, aber anschließend vor allem die fachliche Integration folgen muß. Ob¬
wohl der Nachholbedarf zum Teil erheblich ist, erkennt man überall Anzeichen einer
beschleunigten Rezeption.
Als Inzitament zur Ausräumung kunstgeschichtlicher Vorurteile gegenüber der
Festungsstadt hätten schon längst Michelangelos geniale Skizzen für die Bastionärbe-
festigung von Florenz13 dienen können, aber teils waren sie unvollständig und entle¬
8 Walter Gropius, Bauten und Projekte 1906-1969, 2. Aufl., Zürich 1976; ders. Apollo in
der Demokratie, Cambridge Mass. 1967.
9 Renaissance Fortification. Art or Engeneering, London (Thames & Hudson) 1977, vgl.
auch Wolfgang Braunfels, Stadtbaukunst. Herrschaftsform und Baugestalt, Köln 1976, S.
138—155, obwohl hier das Phänomen zu sehr an den Charakter der Residenzstadt angebunden
wird.
10 Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften Bd. VII, Frankfurt am Main 1970, S. 435.
11 Martin Warnke, Bau und Überbau. Soziologie der mittelalterlichen Architektur nach den
Schriftquellen, Frankfurt am Main 1976; Günther Binding, Beiträge über Bauführung und
Baufinanzierung im Mittelalter, Köln 1974; während über das Zeitalter Renaissance, nament¬
lich in Italien, bislang auf eine Aufsatzliteratur zurückgegriffen werden muß, die sich z. T.
noch mit der Grundforschung beschäftigt.
12 Glossarium Artis, hrsg. vom Comité International d’histoire de l’Art durch O. von Simson,
L. Grodecki, A. A. Schmidt, Band 7, Festungen, Tübingen 1980.
13 Bruno Zevi, Le Fortificazioni Fiorentine, in: Michelangelo architetto. Catalogo delle opere
von F. Barbiéri und L. Puppi, Turin 1964, S. 379-392, Taf. 392-424.
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