daß es zu diesem Zeitpunkt an der Saar überhaupt noch keine Arbeiterorganisation
gab. Das ,,Sozialistengesetz der Saarindustrie“ war eine reine Präventivmaßnahme, ein
klassenbewußter Vorgriff auf spätere Zeiten; der Patriarchalismus demaskierte sich als
Machtverhältnis. Man strebte Friedhofsruhe an und schuf bewußt ein Klima der Angst
und der Verdächtigungen, das Auseinandersetzungen mit sozialistischen Theorien gar
nicht erst zuließ. „Soviel ist klar: Auf dem Wege der Belehrung wäre die sozialdemo¬
kratische Bewegung im Saarthale nie und nimmer unterdrückt worden“^, schrieb die
nationalliberale ,,Kölnische Zeitung“ damals. Die Sozialdemokraten — oder was man
dafür hielt — sollten gesellschaftlich völlig isoliert werden. Selbst die Wirtschaften, in
denen sie ihr Bier tranken, waren für die Berg- und Hüttenarbeiter fortan tabu — sozia¬
le Ächtung auf der einen, Berührungsangst auf der anderen Seite. Allerdings wollte das
Unternchmerkomitee nicht sämtlichen Arbeitern den Besuch sozialdemokratischer
Versammlungen verbieten, woraus Horst Lademacher, der das Protokoll der Sitzung
vom 6. Juli 1877 im Zentralen Staatsarchiv Merseburg einsehen konnte, nicht zu Un¬
recht schließt, daß man den ,,Aufbau eines Spitzelsystems unter der Arbeiterschaft“ be¬
absichtigte33 34.
Mit dem ,¡Sozialistengesetz der Saarindustrie“ schufen sich die hiesigen Unternehmer
zwar ein Willkürinstrument ersten Ranges, dennoch wäre es verfehlt, hierin eine reak¬
tionäre Besonderheit dieses Reviers zu sehen. Bereits am 15. März 1877 hatte Krupp
sein hausinternes Sozialistengesetz verkündet35 36. Am 24. Juni 1878 beschlossen auch die
maßgebenden Ruhrindustrieilen, ,,alle unlauteren Elemente“ in ihren Belegschaften
,,auszumerzen“ib, und schon Ende des Jahres konnte Gustav Natorp, der Geschäfts¬
führer des ,, Bergbaulichen Vereins“, Vollzug melden37 38. Ähnliche Sozialistengesetze er¬
ließen beispielsweise auch die niederschlesischen Bergwerksgesellschaften am 18. Juni
18783h und die Unternehmer Kaiserslauterns39. Als das entsprechende Reichsgesetz in
Kraft trat, war es in wichtigen Industriebranchen längst Praxis.
Um die Durchsetzung des ,,Sozialistengesetzes der Saarindustrie“ zu kontrollieren, be¬
schloß das Unternehmerkomitee die Anstellung eines Stenographen, der bei weiteren
sozialdemokratischen Versammlungen mitschreiben sollte40. Darüber hinaus bat die
Bergwerksdirektion die Landräte der Saarkreise, ihre Bürgermeister zu veranlassen,
angemeldete sozialdemokratische Versammlungen in Bergmannsorten an die nächste
Berginspektion zu melden. ,,Von seiten der letzteren werden alsdann stets einige Beam¬
te und sonstige zuverlässige Leute zur Beiwohnung der Versammlungen committirt
werden“41. Durch Erlaß vom 7. Juli gab die Bergwerksdirektion den Bergleuten das
Sozialistengesetz bekannt42. Eine Konferenz der Kreisbürgermeister und PoKzeikom-
33 Kölnische Zeitung vom 7. 6. 1878 (Nr. 157). Lobende Worte auch in EW vom 22. 7. 1877
(Nr. 29) und SZ vom 21. 7. 1877 (Nr. 167).
34 ZStAM, Rep. 77, Tit. 500, Nr. 46, adh. 2, Bd. 1. Lademacher, S. 139.
35 Wilhelm Berdrow (Hrsg.): Alfred Krupps Briefe 1826-1887, Berlin 1928, S. 343-349.
36 Resolution abgedruckt bei H er zi g, S. 154 f., Fn 227. Vgl. Te n f e 1 d e : Sozialgeschichte, S.
524 f. Gerhard Schulze : Schwerindustrielle Unternehmer und das Sozialistengesetz von 1878,
in: ZfG 28 (1980), S. 244-253.
37 Glückauf/Essen vom 28. 12. 1878 (Nr. 104).
38 Paul Kampfmeyer: Unter dem Sozialistengesetz, Berlin 1928, S. 50.
39 Kaiserslauterer Zeitung vom 15. 6. 1878 (Nr. 143), als Faksimile bei Herzog, S. 53.
40 Lademacher, S. 139.
41 Haßlacher/BWD an LR/SB, OTW, SLS vom 28. 7. 1877, LASB 564/715, 109. Vollzugsmit¬
teilung LR Geldern/SB an BWD vom 31. 7. 1877, ebd., 110.
42 Als gedruckter Aushang ebd., 96. Ebenfalls im Bgmfr. vom 13.7.1877 (Nr. 28). Vgl. die Serie
„Die Bestrebungen der Socialdemokraten“ im Bgmfr. vom 20. 7. (Nr. 29) und 27. 7. 1877
(Nr. 30).
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