Full text: Die Anfänge der Bergarbeiterbewegung an der Saar (1848 - 1904) (12)

sion. Zudem fand diese ererbte Anhänglichkeit in der Grenzlage eine wichtige Stütze: 
Die Besetzung Saarbrückens durch die Franzosen 1870 machte gerade hier die „Bedro¬ 
hung von außen“ gegenwärtig. Der Beginn des letzten ,,nationalen Einigungskrieges“ 
gewissermaßen vor der Haustür gab dem kollektiven nationalen Narzißmus Auftrieb; 
man könnte von einem regelrechten „Spichern-Erlebnis“6 sprechen. Der resistente 
Traditionsüberhang fand überdies seine Absicherung in der katholischen Soziallehre 
mit ihren Theorien einer korporativ geordneten Gesellschaft, die dem bergmännischen 
Konservatismus eine theologische Rechtfertigung anboten7. 
Diesen retardierenden Elementen stand das alte Gemeinschaftsbewußtsein gegenüber, 
das aus der Verbindung von ständischem Korpsgeist und Solidaritätsstrukturen des Ar¬ 
beitsprozesses entstanden war. Diese Gruppenidentität, die den meisten anderen Ar¬ 
beiterschichten anfangs fehlte, konnte die Formulierung kollektiver Interessen erleich¬ 
tern, wenn sie auch vorerst in Obrigkeitsvertrauen erstarrte8. Der kommunikationsin- 
tensiveArbeitsplatz verstärkte diese vereinheitlichende Tendenz ebenso wie der geringe 
Grad an Arbeitsteilung und Differenzierung nach Qualifikationsniveau. Sieht man von 
Spezialfunktionen wie Schachthauer oder Maschinenwärter ab, so blieb die Grubenbe¬ 
legschaft strukturell aufgeteilt in zahlreiche Gruppen unter sich gleichartiger Arbeits¬ 
teams; nur funktionell waren sie unterteilt in Schlepper und Hauer. Die Ausbildung 
vollzog sich als Fertigkeitsvermittlung im normalen Arbeitsprozeß9. Im Laufe seines 
Lebens machte ein Bergmann alle Tätigkeiten durch, die physische Kraft und Berufser¬ 
fahrung galten als maßgebende Kriterien10 11. Ebenso wie die Ausbildung blieb auch die 
Organisation des Arbeitsablaufs den jeweiligen Kameradschaften überlassen. Vor Ort 
herrschte also ein hoher Grad an Autonomie. Innerhalb der Gedingeabmachungen 
,,konnte die Gruppe das Tempo selbst bestimmen, und es war möglich, für einen Kolle¬ 
gen mitzuarbeiten, der vorübergehend schwach war, um seine volle Leistung zu erbrin- 
gen“n. 
Diesem Integrationspotential stand die hierarchische Struktur der Arbeitsgruppe ent¬ 
gegen. Unterhalb der Hauer rangierten die in Altersklassen gestaffelten Schlepper, de¬ 
ren Anteil am Gruppengedinge im Verhältnis 10 : 8 : 7 : 6 abgesetzt wurde12. ,,Die Ar¬ 
beitskraft wird also nach der Funktion der traditionellen Arbeiterkategorie gewertet 
und entfernt sich damit von der rein kapitalistischen Methode der Bezahlung der Ar¬ 
beitskraft“13, Die Lohnbemessung nach Dienstaltersstufen fand ihre Ergänzung in der 
starken Position des Partiemanns, der ein Hauptgedinge übernommen hatte: ,,Die 
6 Vgl. Albert Ruppersberg: Saarbrücker Kriegs-Chronik, 1895, Nachdruck St. Ingbert 
1978. 
7 Vgl. Gladen: Ruhrbergarbeiterstreik, S, 99 — 101. 
8 Vgl. Tenfelde: Sozialgeschichte, S. 342. 
9 Vgl. Hans Bl äs: Betriebliche Berufsausbildung bei Saarberg. Geschichtliche Entwicklung 
der Berufsausbildung bis zur Gegenwart, in: SKB 1974, S. 97 — 104. Klaus Tenfelde: Bil¬ 
dung und sozialer Aufstieg im Ruhrbergbau vor 1914. Vorläufige Überlegungen, in: Werner 
Conze/Ulrich Engelhardt (Hrsg.): Arbeiter im Industrialisierungsprozeß. Herkunft, Lage 
und Verhalten (= Industrielle Welt, Bd. 28), Stuttgart 1979, S. 465 - 493, spez. S. 472. 
10 Herbig: Wirtschaftsrechnungen, S. 485. 
11 Brüggemeier, S. 157. Zur Funktion der Ortskameradschaft vgl. Tenfelde: Arbeits¬ 
platz, S. 301 —303. Stephen Hickey : Bergmannsarbeit an der Ruhr vor dem Ersten Welt¬ 
krieg, in: Hans Mommsen/Ulrich Borsdorf (Hrsg,): Glück auf, Kameraden! Die Bergarbeiter 
und ihre Organisationen in Deutschland, Köln 1979, S. 49 — 69, spez. S. 64 — 68. 
12 E. Müller, S. 19, 45. 
13 Quirin, S. 23. 
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