Friedrichsthal und Camphausen legten die Arbeit nieder20 21. Bereits an diesem 29. De¬
zember konferierte Velsen mit dem Vorstand des ,, Vereins zur Wahrung der gemeinsa¬
men wirtschaftlichen Interessen der Saarindustrie“. ,,Dieselben haben sich einstimmig
dahin geäußert, daß die gewerblichen Betriebe des Saargebietes einen mehrwöchentli¬
ehen Ausfall der Kohlenlieferungen von den staatlichen Gruben ohne Schaden aushal-
ten könnten“, da annehmbare Koksangebote aus Belgien vorlägen. Um das Schreckbild
einer gewerkschaftlichen Organisation zu verbannen, wünschte man, ,,daß die Bergar¬
beiter jetzt die Beschwerden einer längeren Arbeitseinstellung kennen lernen möch¬
ten“11. Die Bergwerksdirektion hatte damit freie Pfand. Der wirtschaftliche Zwang zu
Kohlenlieferungen war aufgehoben, die Tatsache des Vertragsbruchs bot die Handha¬
be, zumindest gegen die Aktivisten des RSV vorzugehen. Eine gemeinsame Sitzung
von Bergwerksdirektion, Regierungspräsident, Landräten und Staatsanwaltschaft am
30. Dezember verständigte sich auf dieser Linie22.
Die Schlafhäuser wurden sofort geräumt, der Schubladenerlaß gegen Streikposten trat
in Kraft23 25. Bischof Korum erließ am 30. Dezember einen Hirtenbrief, in dem er die ka¬
tholischen Bergleute warnte, ,,ihren Glauben, ihr Heil, ihre ganze Zukunft für Zeit
und Ewigkeit aufs Spiel (zu) setzen, wenn sie dem verführenden Rufe von Männern fol¬
gen, welche in ihren Umsturzbestrebungen Kirche und Staat bedrohen“"*. Auch die
evangelische Kirche reagierte mit religiösen Pressionen. Sie erklärte den Ausstand als
,,sittlich verwerflich“ und mahnte: ,,Lieber Unrecht leiden, als Unrecht thunl“1^,
Wunschgemäß distanzierten sich die evangelischen Arbeitervereine von der Streikbe¬
wegung26. Gleichzeitig versuchte man, den Streikenden die Führung zu nehmen: War-
ken wurde bereits am 31. Dezember inhaftiert, weil er dazu aufgerufen hatte, ,,Rechts¬
schutzrevolver“ zu erwerben27. Wegen der schwebenden Unterschlagungsklage arre-
stierte man kurz darauf auch Bachmann, Berwanger, Krön und Müller28. General von
Loe verfügte Marschbereitschaft für die Garnisonen Saarbrücken, Saarlouis und
Trier29.
Trotz der vielfältigen Repressionsmaßnahmen dehnte sich der Arbeitskampf sofort
aus. Am 30. Dezember befanden sich bereits 14 220 Bergleute im Streik; lediglich
Neunkirchen stand noch abseits30. Am folgenden Tag verhinderten dort auswärtige
20 Extrablatt des Bgmfr. vom 30. 12. 1892. Ein Stimmungsbild über den ersten Streiktag in Hei-
nitz findet sich bei Greiffenhagen: Stunden und Tage aus meinem Leben, S. 85 — 89.
21 RP Heppe/Trier an OP vom 30. 12. 1892, LHAK 403/6837, 219 — 226, Zitate S. 223 f. Auch
in seinem Bericht an Berlepsch betonte Velsen, ,,daß die Industrie auch das geringste Nachge¬
ben für ein Unglück ansehen würde“, zit. bei LR Bake/SB an RP vom 31. 12. 1892, LHAK
442/4250.
22 Berlepsch am 4, März 1893, LT-Protokolle, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, S. 1374.
23 Polizeiverordnung vom 29. 12. 1892, LHAK 442/4250 und SAFR, Best. RSV, 393. Saarbrük-
ker Kreisblatt vom 2. 1. 1893 (Nr. 1).
24 TLZ vom 31. 12. 1892 (Nr, 420), SZ vom 2. 1. 1893 (Nr. 1), Bgmfr. vom 3. 1. 1893 (Nr. 1),
abgedruckt bei L e i m p e t e r s, S. 28 f.
25 EW vom 15. 1. 1893 (Nr. 3).
26 Resolution abgedruckt in SZ vom 10. 1. 1893 (Nr. 8). Vgl. Freiherr von Stumm-Halberg und
die evangelischen Geistlichen im Saargebiet, S, 27, 34.
27 Extrablatt des Bgmfr. vom 1.1. 1893. SZ vom 2. 1. 1893 (Nr, 1). SBZ vom 20. 1. 1893 (Nr.
17). Diese 9 mm-Schußwaffen wurden von Dullens seit Sommer 1892 feilgeboten, vgl. Bgmfr.
vom 8. 6. 1892 (Nr. 30).
28 LR Bake/SB an BM/Friedrichsthal vom 2. 1. 1893, SAFR, Best. RSV, 417. LR Bake/SB an RP
vom 6. 1. und 18.1. 1893, LHAK 442/4256. Extrablatt des Bgmfr. vom 6. 1. 1893. Vgl. К i e-
fer: Organisationsbestrebungen, S. 60.
29 Verfügung Loe/Generalkommando des 8. Armeekorps vom 9. 1, 1893, LHAK 442/6390.
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