gen die Liberalisierung des Arbeitsrechts: Der freie Arbeitsvertrag hielt auch im Bergbau
Einzug. Das Recht auf Arbeit verwandelte sich in das Recht auf Arbeitsplatzwechsel.
Die ständische Exklusivität verschwand, die Marktgesetze von Angebot und Nachfrage
galten künftig auch für die ständigen Bergleute. Der Bergmannsstand, dessen Kern bis
zur Jahrhundertmitte außerhalb der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Ent¬
wicklung gestanden hatte, löste sich damit in der Industriearbeiterschaft auf81. Ange¬
sichts des Regionalmonopols des preußischen Staatsbergbaus besaßen Vertragsfreiheit
und Freizügigkeit im Saarrevier jedoch kaum faktische Gültigkeit, der drohende Ver¬
lust erworbener Pensionsansprüche erschwerte zudem einen Arbeitsplatzwechsel. Die
Privilegierung ging verloren, die unbedingte Subordination blieb erhalten.
Diese Änderungen fanden in der Arbeitsordnung vom 15. September 186682 ihren er¬
sten Niederschlag. Die An- und Ablegung aller Bergarbeiter war künftig Aufgabe der
Berginspektionen. Für ständige Bergleute galt eine Kündigungsfrist von drei Monaten,
für unständige vier Wochen. Im Gefolge der Gründerkrise erließ die Bergwerksdirek¬
tion am 20. August 1877 eine neue Arbeitsordnung83 85, da sich die bisherigen Bestim¬
mungen „einerseits als unvereinbar mit einer erfolgreichen Handhabung der Disciplin,
andererseits als nachtheilig für die Interessen des Betriebes erwiesente84 hatten. Nun¬
mehr verkürzte man die Kündigungsfrist für alle Bergarbeiter auf vier Wochen; soforti¬
ge Entlassungen konnten bei ,,liederliche(m) Lebenswandel“, ,,grobe(m) Ungehor¬
sam“, ,,beharrliche(r) Widerspenstigkeit“ oder Behaftung „mit einer eckelhaften
Krankheit“ ausgesprochen werden. Die Verpflichtung, bei unfreiwilligen Beurlaubun¬
gen zunächst die unständigen, erst dann die ständigen Bergleute zu entlassen, entfiel.
Gleichzeitig erhöhte man die Frist für einstweilige strafweise Ablegungen von sechs
Wochen auf drei Monate und bekräftigte den Uniformzwang bei „bergmännischen
Aufzügen“. Auf der Grundlage dieser Arbeitsordnung wurden zwischen 1876 und
1879 1 789 Flauer und Schlepper entlassen — nahezu jeder zehnte Untertagearbeiter83.
Bis zu Beginn der 90er Jahre nahm der Anteil der in der Kohlengewinnung beschäftig¬
ten Arbeiter relativ und absolut zu, um die fehlende Maschinisierung durch eine Ver¬
mehrung der Abbauorte auszugleichen86. Um 1890 ging man zwar vom Pfeilerbau zum
streichenden oder schwebenden Strebbau über87, vereinzelt experimentierte man mit
Preßluft beim Einsatz von Gesteinsbohrmaschinen88, doch insgesamt blieben die tech¬
81 Vgl. Gerhard Boldt: Die Einwirkungen der industriellen Revolution auf das Bergarbeits¬
recht in Deutschland, in: Der Anschnitt 29 (1977), S. 88 — lOl.Tenfelde: Sozialgeschichte,
S. 261 -282.
82 HStAD, Best. OBA Bonn, Nr. 2250, 8. Vgl. E. Müller, S. 41. Bentz, S. 97 — 100.
83 HStAD, Best. OBA Bonn, Nr. 2250,26. Vgl. E. Müller, S. 42 f.
84 Haßlacher/BWD an OBA vom 12. 7. 1877, HStAD, Best. OBA Bonn, Nr. 2250, 1 —7, Zitat
S. 1.
85 E. Müller, S. 46, 154.
86 Vgl. ebd,, S. 72, 156. Imbusch, S. 112. Schuster, S. 40 ff. Erst 1892 ging der Anteil der
mit Aus- und Vorrichtung, Abbau und Förderung beschäftigten Bergarbeiter sprunghaft von
71,74% im Jahre 1891 auf 59,58% zurück. Diese ursprünglich als Krisenmanagement gedach¬
te Verschiebung innerhalb der Belegschaft blieb jedoch in der Folgezeit bestehen, da infolge
der Ausweitung der Gruben vermehrt Ausbau- und Ausbesserungsarbeiten anfielen.
87 Haßlacher: Geschichtliche Entwicklung, S. 151. Edmund Altmeyer: Saarbergbau im
Wandel (I), in: SBK 1965, S. 46 - 62, hier S. 55. Vgl. Wolfhard Weber: Der Arbeitsplatz in
einem expandierenden Wirtschaftszweig: Der Bergmann, in: Jürgen Reulecke/Ders. (Hrsg.):
Fabrik-Familie-Feierabend. Beiträge zur Sozialgeschichte des Alltags im Industriezeitalter,
Wuppertal 1978, S. 89 — 113, spez. S. 98 — 101.
88 Haßlacher: Geschichtliche Entwicklung, S. 142, Vgl, Ernst Klein: Eine Informations¬
reise Saarbrücker Bergbeamter nach England im Jahre 1875, in: Hamburger Jahrbuch für
Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 24 (1979), S. 73 —78.
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