amtsbezirk eine Bergbau-Gewerbekammer, Vor allem auf letztere Institution setzte
Berlepsch große Hoffnungen: Sie sollte bei Streiks vermittelnd eingreifen und als gut¬
achtendes Organ tätig werden. Wenn man die Arbeiterschaft sich selbst überlasse, wür¬
de sich ihre Organisierung unter sozialdemokratischen Vorzeichen vollziehen, schlu߬
folgerte Berlepsch. Darum müsse alles versucht werden, Arbeiter und Unternehmer
unter Ausschluß gewerkschaftlicher Kampforganisationen zur Beratung ihrer gemein¬
samen Angelegenheiten an einen Tisch zu bringen43.
,,In der Hoffnung, daß sie wie auch die Beratungen des Staatsrates Wasser in den Wein
der kaiserlichen Begeisterung gießen würden“4b, hatte noch Bismarck die in den Fe¬
bruarerlassen gewünschte internationale Arbeiterschutzkonferenz einberufen. Das ma¬
terielle Ergebnis dieses seit dem 15. März 1890 in Berlin tagenden Kongresses war vor
allem für Berlepsch enttäuschend45 47. Es kam nicht zum Abschluß bindender Abma¬
chungen, nur in drei, die Kinder- und Frauenarbeit betreffenden Fragen, fand man zu
einer einstimmigen Stellungnahme48 49. Wie Wilhelm II. bereits in seiner Thronrede zur
Eröffnung des Reichstags am 6. Mai 189044 programmatisch festlegte, sollte sich die So¬
zialpolitik des „Neuen Kurses“ künftig auf zwei Projekte beschränken: Auf die in an¬
derem Zusammenhang zu behandelnde Novelle zur Gewerbeordnung und auf das am
29. Juli 1890 in Kraft tretende „Gesetz, betreffend die Gewerbegerichte“, das auf kom¬
munaler Ebene Berlepschs Vorstellung eines sozialintegrativen Organisationsmodells
verwirklichte50.
Während die Öffentlichkeit noch heftig über die Februarerlasse debattierte, waren sie
bereits Makulatur. Von Bismarck in der Aussage bewußt aufgebauscht, von Wilhelm
II. angesichts der Wahlniederlage der Kartellparteien und der Opposition im Staatsrat
stark abgeschwächt, waren sie in dieser Form nie ernsthaftes Regierungsprogramm.
Nach der Entlassung Bismarcks schied Berlepsch aus dem Kreis der engeren Berater
des Kaisers aus; im Juni 1890 versuchte Wilhelm II. sogar, Hans Jencke (1843 — 1910),
den wichtigsten sozialpolitischen Gegenspieler seines Handelsministers, für die Über¬
nahme des Finanzressorts zu gewinnen51. Mit Karl Erich Born läßt sich daher vermu¬
ten, daß Berlepschs Ernennung „in erster Linie ein taktisches Mittel des Kaisers im
Kampf gegen Bismarck“52 war. Gleichzeitig besaß Berlepschs Konzeption einen zen¬
tralen Fehler: Sie ignorierte die bestehenden Organisationen. Statt einer Integration der
45 OP Berlepsch/Koblenz an IM, HM und MÖA vom 23. 1. 1890, LHAK 403/8169. Abge¬
druckt bei Rassow/Born, Nr. 18, S. 34-38. Vgl. Berlepsch: Sozialpolitische Erfah¬
rungen und Erinnerungen, S. 25. Kirchhoff, S. 97—100.
46 Berlepsch: Kaiser Wilhelm 11. und Fürst Bismarck, S. 12. Vgl. Robert Freiherr Lucius
von Ballhausen: Bismarck — Erinnerungen, 4. Aufl. Stuttgart-Berlin 1921, S. 519.
47 Berlepsch: Sozialpolitische Erfahrungen und Erinnerungen, S. 34 f. Auch die sozialdemo¬
kratische Neue Zeit 9 (1890/91), Bd. 1, S. 435, schrieb: „Die hochvermögenden Herren hin¬
terließen keine andere Spur ihrer Thätigkeit wie ein inhaltsarmes Protokoll und einige leere Re¬
solutionen“.
48 Schlußprotokoll in SGB vom 6. 4. 1890 (Nr. 14) und ZfB 31 (1890), S. 276 — 281. Vgl. Glück¬
auf/Essen vom 5. 7. (Nr. 54), 9. 7. (Nr. 55) und 12. 7. 1890 (Nr. 56). Sociaidemokrat vom 22.
3. (Nr. 12) und 5.4.1890 (Nr. 14). Gustav Cohn: Die internationale Konferenz zur Bespre¬
chung der Arbeiterschutzgesetzgebung (Berlin 15.-29. März 1890), in: JNS 55 (1890), S.
225-259. K. E. Born, S. 84-90.
49 Penzler, S. 107-111.
50 Reichsgesetzblatt Nr. 24, 1890, S. 141 ff. Vgl. Adelheid von Saldern : Gewerbegerichte im
Wilhelminischen Deutschland, in: Karl-Heinz Manegold (Hrsg.): Wissenschaft, Wirtschaft
und Technik. Studien zur Geschichte, München 1969, S. 190 — 203.
51 K. E. Born, S. 90 f.
52 Ebd., S. 98.
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