perverletzung, da er im Dezember-Streik 1889 Arbeitswiliige an der Einfahrt gehindert
hatte; Rupp wurde lediglich an der Stimme erkannt und überführt 7. Weil er einen
Nachbarn gewarnt hatte, zur Arbeit zu gehen, wurde der Püttlinger Bergarbeiter Jo¬
hann Pink wegen Nötigung zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt s. „Die Knappschaftsäl¬
testen seien nicht ihre Vertreter, sondern ihre Zertretermeinte der Fnednchsthaler
Johann Müller und erhielt dafür 2 Monate Haft79. Dennoch kommentierte der Neun-
kircher Bürgermeister Ludwig am 24. Juni 1890: „Die geradezu gemeingefährlichen
Gerichte sind gegen diese Hetzer viel zu nachsichtig“80.
Gerhard A. Ritter ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „Die Praxis der Rechtsprechung
und Verwaltung seiner näheren Umgebung bildete meist die ganze Summe der Erfah¬
rungswelt des einzelnen Arbeiters, so daß seine Einstellung zu den übergreifenden poli¬
tischen Ordnungen seiner Zeit aus dieser unmittelbaren Sphäre den entscheidenden Ak¬
zent erhielt“81. Das Gros der RSV-Mitglieder teilte die von Warken und Bachmann öf¬
fentlich ausgesprochenen Beschuldigungen, die zu deren Verurteilung führten. Da viele
von ihnen sich im Freundeskreis bereits ähnlich geäußert hatten, mußten sie sich nun
ebenfalls angeklagt und abgeurteilt fühlen. Die im Streik überwundenen desolidarisie-
renden Folgen des Korruptionssystems wirkten somit als Ferment der Organisations¬
bildung. Man betrachtete die Vorstandsmitglieder „als eine Art Märtyrer“82, die exem¬
plarisch für alle gehandelt hatten und exemplarisch für alle durch Arbeitslosigkeit und
Haft büßten. Vermittelt über die „Führer“, wie man sie gern nannte, wuchs also die
Verpflichtung gegenüber dem RSV. Die Alltagserfahrung der Kriminalisierung stärkte
damit die Ansätze eines neuen Kollektivbewußtseins und vertiefte die Kluft zur kon¬
kret erfahrbaren Obrigkeit.
Für das Verhalten der Behörden galt seitdem jener logische Zirkel, den Robert K.
Merton als „self-fulfilling prophecy“ beschrieben hat: Indem man den RSV als sozial¬
demokratisch deklarierte, kam selbst der Versuch einer Integration nicht in Frage. Not¬
wendiges Resultat dieses Ausschlusses von jeglicher positiver Mitarbeit war eine fort¬
schreitende Radikalisierung der Organisation, was wiederum erst recht eine Einbezie¬
hung in das Wirtschafts- und Sozialgefüge verbot83.
8.2 Der Dezember-Streik 1889
Als Reaktion auf die Entlassungswelle im Herbst 1889 forderte eine RSV-Vertrauens-
männerversammlung in St. Johann am 20. Oktober die Wiedereinstellung der Gemaß-
regelten1. Warken warnte zwar ständig vor einem neuen Ausstand, indem er auf das
77 Abschrift der Urteilsbegründung LASB 564/770, 238 -244.
78 Abschrift der Urteilsbegründung ebd., 484-492.
79 Abschrift der Urteilsbegründung ebd., 505 — 516.
80 Zeitungsbericht BM Ludwig/NK für das 2. Quartal 1890, SANK, 15 F III.
81 G. Ritte r, S. 41 f. Vgl. ders.: Staat, Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung in Deutschland.
Vom Vormärz bis zum Ende der Weimarer Republik. Berlin-Bonn 1980. S. 33-43.
82 BM Speicher/Riegelsberg an LR vom 4. 10. 1889, Konzept LASB, Dep. Riegelsberg, vor], Si¬
gnatur 25/10, Abschrift LASB 564/715, 291 —295, Zitat S. 294.
83 Vgl. Kirchhoff, S. 101.
1 BM Neff/St. Johann an LR vom 22. 10. 1889, Abschrift LHAK 442/4138. Vgl. E. Müller,
S. 54. Kiefer: Organisationsbestrebungen, S. 26. Hue : Bergarbeiter, Bd. 2, S. 403. Land¬
rat zur Nedden stellte nach dem Dezemberstreik fest: ,,Beteiligung (von Sozialdemokraten,
d. V.) nicht wahrscheinlich, jedenfalls nicht nachzuweisen“, Streiküberblick vom 28. 4. 1890,
KrASB S/3. Dennoch fabulierte Brandt, S. 65, von Fällen, „in welchen Nichtbeteiligte die
Bergleute aufzureizen sich bemühten“.
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