Full text: Die Anfänge der Bergarbeiterbewegung an der Saar (1848 - 1904) (12)

8 Die Konsolidierung des Rechtsschutzvereins 
8.1 Erste Schritte und beginnende Kriminalisierung 
Die Kaiseraudienz der drei Ruhrbergleute und die Einrichtung der Untersuchungs¬ 
kommission gaben nicht nur dem Aufbegehren der Bergleute den Anschein der Legiti¬ 
mität, sie verliehen auch dem traditionellen Weg der Konfliktregelung neue Impulse. 
Wilhelm II. erhielt so „die psychologische Qualität und Funktion eines letzten Ret¬ 
tungsankers“1. Nicht mehr Berginspektionen oder Bergwerksdirektion galten nun¬ 
mehr als Ansprechpartner, man übersprang die vorgelagerten Kanalisierungsmöglich¬ 
keiten, die im Streik ostentativ versagt hatten, und wandte sich direkt an die höheren 
Instanzen: Oberbergamt, Minister, Parlament, Monarch. Auf dieser neuen Grundlage 
gewann der Petitionismus wieder an Attraktivität. „ Von seinen Untergebenen wird er 
belogen“, nannte Warken am 20. Oktober 1889 als Begründung für eine erneute Peti¬ 
tion an den Kaiser2. 
Dieser Rückgriff ist jedoch nicht nur ideologiekritisch als Traditionsüberhang zu be¬ 
werten. Denn der seit dem Mai-Streik wiederbelebte Petitionismus diente gleichzeitig 
zur Identitätsfindung der neuen Organisation, er wurde zum Mittel der Verständigung 
über Situation und nächste Forderungen und somit zum Vehikel der subjektiven Ver¬ 
einheitlichung. Gewerkschaftliches Reformprogramm und vorgewerkschaftliche Kon¬ 
fliktregelung bedingten einander im Anfangsstadium der Bergarbeiterbewegung. 
Am 22. September 1889 veranstaltete der RSV seine erste Massenversammlung seit 
dem Mai-Streik. 15 000 Bergleute kamen zum St. Johanner „Tivoli“, dessen Fassungs¬ 
vermögen kurz vorher auf 1000 reduziert worden war: „Da die Behörde kein Interesse 
daran hatte, die Aufsuchung eines größeren Lokals für die ebenso überflüssige wie ge¬ 
fährliche Versammlung zu provociren, so ließen wir die fragliche Verfügung dem War¬ 
ken absichtlich erst so spät insinuiren, daß die rechtzeitige Anmeldung eines anderen 
Lokals unmöglich war“, berichtete Landrat zur Nedden3 4. 
Sowohl Dasbach als auch der Kaiserdelegierte Schröder — gewissermaßen die Figura¬ 
tion der späteren Konfliktlage im RSV — waren anwesend. Warken hielt die Waage 
zwischen beiden: „Durch das Streiken schaden wir dem Fiskus; der Fiskus ist der Staat 
und der Staat sind wir“A, warnte er ganz im Sinne Dasbachs und berief sich dabei auf 
Bismarck und „die Worte des Kaisers, daß jeder Arbeiter seinem Herzen gleich nahe 
stehe“5. Gleichzeitig propagierte er gemeinsam mit Schröder die Gründung einer na¬ 
tionalen Bergarbeitervereinigung. Die Versammlung verabschiedete einen Forderungs¬ 
katalog6 — im wesentlichen eine Neuauflage des „Bildstocker Protokolls“ — und wähl¬ 
te zwei Delegierte je Inspektion, die zu Verhandlungen auf dieser Grundlage ermäch¬ 
1 Tenfelde: Sozialgeschichte, S. 593. 
2 BM Neff/St. Johann an LR vom 22. 10. 1889, Abschrift LHAK 442/4138. 
3 LR zur Nedden/SB an RP vom 24. 9. 1889, Konzept KrASB S/4a, Ausfertigung LHAK 442/ 
4138. 
4 Dto. vom 24. 9. 1889, LHAK 442/4138. 
5 SJZ vom 24. 9. 1889 (Nr. 223). Weitere Versammlungsberichte in SZ vom 23. 9. (Nr. 222) 
und 24. 9. 1889 (Nr, 223), St. Johann-Saarbrücker Anzeiger vom 24. 9. 1889 (Nr. 223). Vgl. 
Brandt, S. 66 f. E. Müller, S. 53. Imbusch, S. 372. 
6 Die ,,Tivoli-Beschlüsse“ sind abgedruckt in Glückauf/NK vom 28. 9. 1889 (Nr. 9), Abschrift 
LHAK 442/4138. 
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