6.2 Der ,,Gemäßigte Bergmanns-Verein des Saar- und Blies-Reviers“
Mitte September 1889 erschien in der Presse ein Aufruf zur Bildung einer ,,gemäßigten
Partei“ der Bergleute1. Unterzeichner waren Dehmelt und Stemmerich, die beide bei
der Vorstandswahl des RSV durchgefallen waren und von Landrat zur Nedden für
,,weit klüger, vorsichtiger und deshalb auch wohl gefährlicher . . . wie Leute vom
Schlage Warkens und Bachmanns“ gehalten wurden2. Dehmelt scheint jedoch bald
schon Abstand von diesem Plan genommen zu haben. Auch Stemmerich wurde in der
Folgezeit in den Hintergrund gedrängt. Auf einer Versammlung in Wellesweiler am 13.
Oktober setzte er zwar gegen den Widerstand anwesender RSV-Mitglieder die Grün¬
dung eines ,,Gemäßigten Bergmanns-Vereins des Saar- und Blies-Reviers“ durch; ihn
selbst aber wählte man nur als Beisitzer in den Vorstand. Zum Präsidenten bestimmte
man statt dessen den Wellesweiler Bergmann Nikolaus Dorst3. In seinem Statut4 gab
sich der neue Verein ein betont konservatives Profil. Als Ziele bezeichnete er es, ,,Hei-
maths- und Vaterlandsliebe, Ordnung und Ehrenhaftigkeit im Bergmannsstande zu
pflegen und die Ausbildung in Fachkenntnissen anzustreben“. Er sprach sich ,, unter
allen Umständen“ gegen Arbeitseinstellungen aus, empfahl sich als Beschwerdeinstanz
und versprach seinen Einsatz für die ,,Beibehaltung“ der im Mai-Streik verkündeten
Verbesserungen. Für die RSV-Mitglieder unter den Bergleuten aber waren diese Zuge¬
ständnisse Ergebnis des Ausstandes. Dem Verkehr „mit den Beamten auf friedlichem
Wege“ standen sie aufgrund ihrer Erfahrungen wohl in der Masse skeptisch gegenüber.
Sie sahen sich erst am Anfang und wollten sich noch keineswegs mit dem erreichten
Kompromiß zufriedengeben. Der Gedanke einer ,,gemäßigten Richtung“ stieß bei ih¬
nen also auf taube Ohren.
Der neue Verein kam über ein kurzfristiges Schattendasein nicht hinaus. Ende 1889
zählte er etwa 70 Mitglieder aus Neunkirchen, Wellesweiler, Wiebelskirchen, Bexbach
und Schiffweiler; größere regionale Ausdehnung gewann er nicht5. Mit Sicherheit tru¬
gen dazu auch taktische Fehlleistungen bei, die den ,,Gemäßigten Bergmanns-Verein“
schnell als Organisation der Grubenleitung diskreditierten: Zur Gründungsversamm¬
lung beispielsweise waren auch die Bergbeamten eingeladen6, Dorst verlangte von der
Berginspektion VIII, „die Verbreitung (der Statuten) unter der Belegschaft gefälligst
anordnen zu wollen“7, und bei einer Versammlung in Neunkirchen am 9. Dezember
wies man sogar alle Anhänger des RSV aus dem Saal8. Und als Dorst im Reichstags¬
wahlkampf 1890 Wahlreden für Stumm hielt9, war wohl auch die allerletzte Chance
verspielt.
1 SJZ vom 15. 9. 1889 (Nr. 216). Vgl. Glückauf/NK vom 21. 9. 1889 (Nr. 8).
2 LR zur Nedden/SB an RP vom 22. 12. 1889, KrASB S/4a.
3 LR Tenge/OTW an RP vom 9. 11. 1889, LHAK 442/4138. EW vom 20. 10. 1889 (Nr. 42).
Auch Imbusch, S. 379, und Kiefer: Organisationsbestrebungen, S. 20, 26, erwähnen die
Gründung. Wenn Kiefer den Verein jedoch als ,,wichtiger“ als die evanglischen Arbeiterverei¬
ne bezeichnet, dann entspricht dies nicht den Tatsachen.
4 Statutenexemplare im SANK, F 30 P und LHAK 442/4277.
5 Zwei Namensverzeichnisse der Mitglieder im SANK, F 30 P.
6 Imbusch, S. 379.
7 Dorst/Wellesweiler an BI VIII vom 9. 12. 1889, SANK, F 30 P.
8 SBZ vom 10. 12. 1889 (Nr. 287). BM Ludwig/NK an LR vom 9. 12. 1889, SANK, F 30 P.
Zeitung für Elversberg, Spiesen und Heinitz vom 11. 12. 1889 (Nr. 62).
9 SBZ vom 18. 2. 1890 (Nr. 41).
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