6 Die Gegengründungen
6.1 Die evangelischen Arbeitervereine
,,Es wurden in diesen Jahren im Saarrevier Vereine auf Vereine gegründet um eines
Theiles die Mitglieder des Rechtsschutzvereins aus ihren Versammlungen abzuhalten
anderen Theils gegen diesen aufzutreten“x, schrieb Nikolaus Warken zurückblickend
im Jahre 1905. Vorrangig meinte er damit die evangelischen Arbeitervereine, die sich in
Gegenreaktion auf die Gründung des RSV zu formieren begannen.
Während des Streiks im Mai 1889 hatten die evangelischen Geistlichen an der Saar kei¬
nerlei Sympathie für den Ausstand gezeigt, sie konnten sich aber auch nicht zu einer
eindeutigen Verurteilung durchringen. Zwar sahen sie im Ruhrgebiet bereits das ,,rote
Gespenst“ am Werk1 2 4, erblickten aber gleichzeitig im Streik ,,eine tiefergehende Krank¬
heit der Zeit“1, die gemäß Kaiserwort durch ,,mehr Fühlung mit den Arbeitern“ und
durch die Erkenntnis zu heilen sei, ,,daß der Mensch ,nicht vom Brot allein‘ lebt, son¬
dern höherer und besserer Dinge bedarfc4. Diese relative Zurückhaltung war mit der
Gründung des RSV beendet. Fauth nannte den Verband „eine äußerst schlaue ultra¬
montane Macherei“, ,,um den Einfluß auf die unzufriedenen Elemente nicht zu verlie¬
ren“ und forderte: ,,Es ist hohe Zeit, daß auch in unserer Saargegend mit der Bildung
evangelischer Arbeitervereine energisch vorgegangen wird“5 7. Die ,,Saarbrücker Zei¬
tung“ sekundierte: ,,Wenn den ultramontanen Bestrebungen gegenüber eine Vereins¬
gründung zeitgemäß ist, so ist es diese“b. Die konfessionelle Arbeitervereinsbewe¬
gung wurde somit in direkten Gegensatz zur wirtschaftlichen Interessenvertretung
der Bergleute gestellt.
Am 13. Oktober 1889 bildete sich in Friedrichsthal der ,,Evangelische Arbeiterverein
für Berg-, Hütten-, Bahn- und Tagearbeiter“, die erste protestantische Gründung mit
unmittelbar antigewerkschaftlicher Zielsetzung. Anwesende Vorstandsmitglieder des
RSV versuchten zwar die Gründung zu verhindern und empfahlen ihren Verband als
konfessionell strikt neutral, doch man hielt ihnen die unterschiedliche Intention vor:
,,Der Rechtsschutzverein sähet Mißtrauen unter den Arbeitern, der evangelische Ver¬
ein bringt der königlichen Behörde Vertrauen entgegen“1. Zwei Wochen später bildete
1 Chronik Nikolaus Warkens, LASB, Einzelstücke Nr. 91, S. 1.
2 EW vom 19. 5. 1889 (Nr. 20).
3 EW vom 9. 6. 1889 (Nr. 23).
4 EW vom 26. 5. 1889 (Nr. 21). Als Beispiel einer differenzierteren Position vgl. Günter B ra¬
kelmann : Evangelische Pfarrer im Konfliktfeld des Ruhrbergarbeiterstreiks von 1905, in:
Jürgen Reulecke/Wolfhard Weber (Hrsg.): Fabrik-Familie-Feierabend. Beiträge zur Sozialge¬
schichte des Alltags im Industriezeitalter, Wuppertal 1978, S. 297 — 314, spez. S. 306 — 311.
5 EW vom 22. 9. 1889 (Nr. 38).
6 SZ vom 8. 10. 1889 (Nr. 235). Vgl. SBZvoml3. 10. 1889 (Nr. 227), SZ vom 28. 9. (Nr. 227),
30. 9. (Nr. 228) und 7. 10. 1889 (Nr. 234).
7 SZ vom 14. 10. 1889 (Nr. 240). BM Forster/Friedrichsthal an LR vom 14. 10. 1889, LHAK
442/4138. PB vom 27. 10. 1889 (Nr. 43). Auch Imbusch, S, 379, Kiefer: Organisations¬
bestrebungen, S. 24 f., Beilot, S. 188 und Fohrmann, S. 206, erwähnen die Gründung,
Unter den Bergleuten firmierte der neue Verband unter der diffusen Bezeichnung ,,Links¬
schutzverein‘, vgl. BM Forster/Friedrichsthal an LR vom 7, 1. 1891, SAFR, Best. RSV, 306.
Statutenexemplare der evangelischen Arbeitervereine an der Saar LHAK 442/4138 (Fried¬
richsthal) und KrASB S/4 (Dudweiler). Vgl. den Aufruf des RSV-Vorstandes von Oktober
1889, der versichert, ,,Religion wie Politik vollständig außer Acht zu lassen“, SAFR, Best.
RSV, 134 und LHAK 442/4138. Abgedruckt bei Imbusch, S. 379. J. Klein: Rechts¬
schutzverein, S. 48. Kiefer: Organisationsbestrebungen, S. 25.
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