In den übrigen Steinkohlenrevieren wirkte der vom Mai-Streik ausgehende Organisa¬
tionsimpuls weniger stark: Am 25. August 1889 bildete sich in Beuthen zwar der
,, Oberschlesische Verein gegenseitiger Hilfe", doch er blieb eine Mischform zwischen
Unterstützungskasse und polnischer Nationalorganisation60. In Niederschlesien hinge¬
gen formierten sich nach dem Mai-Streik freie Knappenvereine als Vorstufe zum „ Ver¬
band deutscher Bergleute“61.
5.2 Das Sozialprofil der führenden Mitglieder
Die biographischen Grunddaten der führenden RSV-Mitglieder1 belegen eindeutig,
daß Streik und Organisationsgründung von der Kernschicht der Saarbergleute getragen
wurden; sie erklären andererseits auch, warum der RSV so schnell wachsen konnte:
Durchgängig — mit der alleinigen Ausnahme von Dehmelt — stammten die Vorstands¬
mitglieder und Vertrauensleute aus dem heutigen Saarland. Im Regelfall waren sie in
den nördlichen Randgebieten geboren und hatten im Sulzbach-, Saar- oder Köllerbach¬
tal geheiratet — ein getreues Spiegelbild der Wanderungsbewegung und gleichzeitig ein
Beleg für die vorhandene ländliche Bindung. Die meisten waren um die 40 Jahre alt,
Peter Schillo - 1858 geboren - gehörte zu den allerjüngsten. Nahezu alle arbeiteten
bereits seit den 60er Jahren auf den Saargruben, besaßen also über 20-jährige Berufser¬
fahrung, meist auf demselben Schacht. Unterbrochen wurde die Arbeit lediglich durch
die Militärzeit. ,,Die meisten von uns waren Soldat und sind zu jeder Stunde bereit,
Gut und Blut für Kaiser und Reich, so es die Noth erfordert, zu opfern endete die Ein¬
gabe der Gemaßregelten vom 25. Juni 1891 — in ihren quantitativen Angaben zutref¬
fend. Altersmäßig fielen Militärzeit und ,,nationale Einigungskriege“ bei den allermei¬
sten zusammen, das „Spichern-Erlebnis“ prägte demgemäß auch die Führung des
RSV. Ihrem Alter entsprechend handelte es sich durchweg um Familienväter mit
durchschnittlich fünf Kindern. Fast die Hälfte von ihnen besaß Haus und Land, einige
waren Wirte im Nebenberuf.
Soweit konfessionelle Angaben vorhanden sind, lauten sie ohne Ausnahme auf katho¬
lisch. Nicht nur die Bevölkerungsverschiebung scheint dafür maßgebend zu sein, vor
allem wirkten sich hier wohl die Kulturkampferfahrungen aus2. Thome, später Wort¬
führer der Sozialdemokratie im Vereinsvorstand, wird 1889 als ,,fleißiger, nüchterner
Mensch“ geschildert, ,,der in geordneten Verhältnissen lebt“, aber durch ,,falschen
Ehrgeiz“ in die Leitung gelangt sei. Lediglich bei Bachmann wurden von Anfang an
60 Kulemann: Berufsvereine, Bd. 2, S. 319 — 321. Imbusch , S. 402 ff. Hue: Bergarbeiter,
Bd. 2, S. 287.
61 Hue : Neutrale oder parteiische Gewerkschaften, S. 68. Als Gegengewicht bildeten sich hier
schon früh ,,reichstreue Bergarbeitervereine“, die sich im Oktober 1896 zum Revierverband
zusammenschlossen. Vgl. Kulemann: Berufsvereine, Bd. 2, S. 319.
1 Ausgewertet wurden die Eingabe von 37 gemaßregelten Bergleuten an das HM vom 25. 6.
1891, Abschriften KrASB S/3 und LHAK 442/4274, der biographische Anhang zu LR zur
Nedden/SB an RP vom 22. 12. 1889, Konzept KrASB S/4a, die Aussage Berwangers vor der
Untersuchungskommission in Heinitz am 24. 7. 1889, LASB 564/770, 173- 178, sowie die
Personalberichte über die führenden Mitglieder, SAFR, Best. RSV, 33, 44, 54, 55, 56, 139,
149, 150, 151, 152, 528, 567, 576, 595, 596. Da die Angaben ungleichwertig sind, verbieten
sich Prozentangaben.
2 Vgl. Freiherr von Stumm-Halberg und die evangelischen Geistlichen im Saargebiet, S. 32.
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