schwörung. Oberbergrat Nasse meinte, „daß die ganze Sache von langer Hand her
eingefädelt worden ist“ und bat den Landrat: „Es wäre sehr erwünscht, wenn Sie die
westfälischen Sendboten einfangen könnten“66. Doch die hektische Suche erwies sich
bald schon als gegenstandslos. „Inspirationen von auswärts und Geldsendungen an
Warken haben nicht ermittelt werden können“67, notierte Landrat zur Nedden am 30.
Mai. Dennoch fand das Verschwörungstheorem Aufnahme in die Literatur: Brandt
schrieb vom Werk „im geheimen wirkender auswärtiger Drahtzieher“6*, Müller sah
einen Grund für die Streikbewegung im Mai 1889 in der verblüffenden Tatsache, „daß
mit Aufhebung des Sozialistengesetzes der von Westfalen aus betriebenen sozialdemo¬
kratischen Agitation freier Spielraum gelassen wurde“69 — obwohl das Sozialistenge¬
setz noch bis 1. Oktober 1890 gültig war.
Auch für den naheliegenden Verdacht, bei der sich herauskristalhsierenden Führungs¬
spitze der Bergleute handele es sich um verkappte Sozialdemokraten, ergaben sich
„trotz sorgfältigster Nachforschungen und Überwachung nicht die geringsten Anhalts¬
punkte“70. Warken, Bachmann, Michel Schroth, Friedrich Nackas und Michel Poth,
die am 15, Mai als Versammlungsleiter gewählt wurden und anschließend als Streikko¬
mitee fungierten, wohnten in Bildstock; lediglich Nackas war im benachbarten Merch¬
weiler zuhause, jedoch in Bildstock geboren71. Es liegt demnach nahe, den Arbeits¬
und Kommunalzusammenhang als Grundlage dieser Gruppenbildung anzusehen.
Am 15. Mai 1889 versammelten sich 3 000 Bergleute aus Friedrichsthal, Sulzbach,
66 Nasse/BWD an LR/SB vom 17. 5. 1889, ebd. Stapenhorst/BI IX an BWD vom 24. 5. 1889, Ab¬
schrift ebd. Vgl. die entsprechenden Anweisungen LR zur Neddens/SB an die Kreisbürger¬
meister vom 18., 23. und 29. 5. 1889, SAFR, Best. RSV, 7, 9, 28.
67 Aktennotiz LR zur Nedden/SB vom 30. 5. 1889, KrASB S/2.
68 Brandt, S. 60.
69 E. M ü 11 e r , S. 49.
70 LR zur Nedden/SB an RP vom 29. 5. 1889, KrASB S/2. Im illegalen ,,Socialdemokrat“ wurde
der Saarstreik nur am Rande erwähnt, es findet sich keine einzige Korrespondenz darüber. Im
Ruhrgebiet hingegen existierte zweifellos ein sozialdemokratischer Flügel in der Streikleitung,
der jedoch von der DDR-Historiographie stark überschätzt wird:,, Welche Autorität trotzdem
die illegal kämpfende revolutionäre Arbeiterpartei unter den Ruhrkumpeln bereits besaß, spie¬
gelte sieb darin wider, daß die als Sozialdemokraten bekannten Bergleute L. Schröder, Dieck¬
mann, Heep und Bunte zu den gewählten Führern der Streikbewegung zählten . . . August
Bebel stand mit den Streikenden in direkter Verbindung und sandte Geld zur Unterstützung
der Streikenden und ihrer Familien“, schrieb beispielsweise Heinrich Gemkow: Friedrich
Engels’ Hilfe beim Sieg der deutschen Sozialdemokratie über das Sozialistengesetz (= Beiträge
zur Geschichte und Theorie der Arbeiterbewegung, H. 9), Berlin 1957, S. 162. Dem ist entge¬
genzuhalten, daß Schröder am 5. Mai 1889 seinen Parteigenossen Wesch, der behauptet hatte,
„daß es ohne Politik nicht gehe“, mit dem Argument zurückwies, „daß keine einzelne politi¬
sche Partei mit der Sache zu thun habe, auch keine Konfession, sondern die Bergleute wollten
unter sich Organisationen schaffen“, Tremonia vom 5. 5. 1889 (Nr. 103), abgedruckt bei
Köllmann : Bergarbeiterstreik, Nr. 10, S. 37. Die sozialdemokratischen Streikführer han¬
delten lediglich als Interessenvertreter der Bergleute — nicht aus taktischer Verstellung, son¬
dern aus der leidvollen Erfahrung der politischen Instrumentalisierung der Gewerkschaftsbe¬
wegung. Als Knappenvereinsfunktionäre und Vorreiter des Organisationsgedankens genossen
sie das Vertrauen ihrer Kollegen, weniger als Mitglieder der Sozialdemokratie. Die Partei
selbst griff in den Streik nicht ein; Bebels „direkte Verbindung“ beschränkte sich darauf, nach
dem Ausstand an eine Reihe sozialdemokratischer Bergleute Unterstützungsgelder für die Ge-
maßregelten zu überweisen. Vgl. Bebels Erklärung vom 29. 5. 1889 im Socialdemokrat vom
8. 6. (Nr. 23) und Glückauf/Zwickau vom 8. 6. 1889 (Nr. 23). Bebel an Motteier vom 27. 8.
1889, IISG, Motteler-Nachlaß, abgedruckt bei E n g e 1 b e r g , S. 222 f.
71 Vgl. die Personalberichte über Bachmann, SAFR, Best. RSV, 56; Schroth, ebd., 54; Poth,
ebd., 55. Zu Nackas vgl. BM Argelander/Schiffweiler an BM/Friedrichsthal vom 3. 6. 1889,
ebd., 33.
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